Wertschätzung leben und teilen im «Schenkhaus»
Gastfreundschaft, Kleidertausch, Werkstatt und ein Raum der Stille: Das Schenkhaus im Zürcher Seefeld hat viele Gesichter. Das Projekt will Kirche für junge Erwachsene erlebbar machen.
Eine Halle im Hinterhof eines Häuserblocks im Seefeld, gemütliche Spannteppiche, eine breite Holztribüne mit grünen Kissen zum Verweilen, da und dort Kleiderständer mit bunten Trainerjacken und Blusen, eine offene Küche mit vielen Tassen in Pastelltönen und sanfte Musik: Das «Schenkhaus» präsentiert sich an einem Freitagnachmittag im Januar gemütlich still und einladend warm.
Aus der Werkstatt, wo Malfarben und Pinsel aufgereiht sind, kommt Jonas Simmerlein, 31, theologischer Leiter und passionierter Gastgeber. Er lädt gleich zum Tee und stellt die charmanten Räume vor. «Wir wollen Kirche für Menschen zwischen 18 und 35 erlebbar machen und ihnen einen Raum bieten, wo sie zur Ruhe kommen können», sagt er.
Diesen Wunsch haben junge Erwachsene in einer Umfrage explizit an das neuartige Projekt gerichtet, das seine Türen an der Dufourstrasse im vergangenen September mit beeindruckenden 800 Gästen eröffnet hat. Zuvor operierte das Schenkhaus nicht als Dauerbetrieb, sondern als Eventbetrieb mit Pop-up-Anlässen, die auf Instagram und analog grosse Resonanz auslösten.
Das ursprünglich vom Zürcher Sozialdiakon Simon Obrist initiierte Angebot traf den Zeitgeist: Freigebiges Schenken und nachhaltiges Teilen sind gefragt. Hunderte kamen und tauschten Kleider und Gegenstände aus, über die via Handyscans spannende, persönliche Details zu erfahren waren.
Einladend sein
Ermutigt vom grossen Interesse entschied die reformierte Kirche der Stadt Zürich, das sozialdiakonische Projekt für junge Erwachsene finanziell zu unterstützen und mit einem kleinen Team auszustatten. Eine Steuergruppe mit kirchlichen Akteurinnen und Akteuren begleitet seither Aufbau und Weiterentwicklung.
In seiner Ausrichtung steht das Schenkhaus auf fünf Pfeilern, wie der Praktische Theologe und ehemalige Hochschulseelsorger Jonas Simmerlein darlegt. Als ersten Schwerpunkt nennt er die Gastfreundschaft. «Wir versorgen unsere Gäste mit Kaffee, Tee und Snacks, damit sie sich bei uns wohl fühlen, und wir kommen persönlich mit ihnen ins Gespräch.»
Kirche soll als einladender Ort geschaffen werden, wo nicht gefragt wird, woher die Gäste kommen oder woran sie glauben. Dabei wird die Gastfreundschaft auf drei Ebenen gepflegt: mit Präsenzangeboten wie Co-Working und Raum der Stille, mit Workshops und Anlässen wie einer Lesenacht und mit Events wie etwa dem Fonduefestival oder dem monatlichen Culture Club.
Die Angebote der Gastfreundschaft werden von der reformierten Kirche finanziert, was kirchenintern durchaus auch kritische Fragen auslöst. Dazu merkt Jonas Simmerlein an, dass die Zielgruppe zwar häufig den Kirchenaustritt erwäge, im Schenkhaus jedoch ein kirchliches Angebot vorfinde, welches das vielstimmige Echo auslöse: So sind wir gern Teil der Kirche.
Kleidertausch als Flaggschiff
Zu diesem Wohlwollen trägt auch der Schenkgedanke als zweiter Pfeiler bei: Der Kleidertausch als Flaggschiffprojekt, das freie Nehmen und Geben im begehbaren Kleiderschrank und mit scanbarem Sticker zum Danken kommt mit seiner nachhaltigen Ausrichtung besonders gut an.
Dabei wird gemäss Jonas Simmerlein der diakonische Gedanke umgesetzt, Wertschätzung zu leben und zu teilen. Auch der Büchertausch wird nachhaltig gestaltet, indem zu ausgeliehenen Büchern schriftliche Echos hinterlegt werden können.
Als Drittes ist das Schenkhaus auch eine Werkstatt mit Raum, wo Velos repariert werden können und wo eine Künstlerin in Workshops zum Malen und anderweitigen kreativen Wirken ermutigt; auch dieses Angebot haben sich die jungen Erwachsenen gewünscht. Ebenso wird Kultur als viertes Schwergewicht gross geschrieben: Einmal pro Monat findet ein Kulturanlass mit Band oder einer Kunstvernissage statt – die Nachfrage von Künstlerinnen und Künstlern ist vielversprechend.
Rund um die Uhr zugänglich
Als fünfter Bereich lädt der in zarten Rosafarben gehaltene und mit Wolkenlampen dekorierte Raum der Stille je nach spiritueller Praxis der Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken, Meditieren, Beten oder Entspannen ein. «Mit diesem Raum bieten wir weitherum die einzige Kirche an, die dank Zugangscode rund um die Uhr zum Beten und Innehalten geöffnet ist», schmunzelt Jonas Simmerlein.
Er will mit den jungen Erwachsenen spirituell unterwegs sein und christliche Gemeinschaft pflegen. «Wir sind Kirche, eine Kirche für eine spezifische Zielgruppe und mit dieser begeben wir uns auf eine Reise und fragen, welche Art Kirche für sie in ihrer Lebenssituation wichtig ist.»
Die jungen Leute hätten grosse Bedürfnisse nach spirituellen Angeboten: «Sie kommen mit ihren Lebensfragen und suchen die Kirche auch als Lebensbegleiterin, die sie in ihrer spezifischen Lebensphase sieht und ernst nimmt. Mit den jungen Erwachsenen wollen wir uns auf die Suche nach Gottes Liebe in der Welt machen, wir wollen sie mit unserem Glauben inspirieren und dabei Vorbilder sein», sagt Simmerlein.
Text: Madeleine Stäubli-Roduner
Mit Jungen spirituell unterwegs
Ein kulturell-spiritueller Begegnungsort für junge Erwachsene: Das Schenkhaus an der Dufourstrasse 29 im Zürcher Seefeld ist ein Projekt der Kirchgemeinde Zürich.

Räume für junge Erwachsene
An zahlreichen Orten des Kantons Zürich gibt es Cafés der reformierten Kirche mit Co-Working Arbeitsplätzen. Dort können Besuchende einen Kaffee trinken, Mittag essen, arbeiten oder mit Leuten ins Gespräch kommen.