500 Jahre Reformation
Vor gut 500 begann in Zürich die Reformation – ein Umbruch, der die Kirche und die ganze Gesellschaft verändern sollte. Wie kam die Reformation ins Rollen? Welche Veränderungen brachte sie in Kirche, Politik und Gesellschaft? Und was ist ihr Vermächtnis?
Weltweite Auswirkung
Die Zürcher Reformation hat die Welt verändert. Weltweit gehören heute etwa 80 Millionen Menschen zu einer reformierten Kirche mit Schweizer Wurzeln. Angestossen wurde der Umbruch vom gut gebildeten Bauernsohn und Priester Ulrich Zwingli. Seine Vision einer reformierten Kirche und Gesellschaft verhalfen Bürger und Rat der Stadt Zürich innerhalb weniger Jahre Anfang des 16. Jahrhundert zum Durchbruch.
Die Fotos stammen aus dem Film «Zwingli» von C-FILMS 2019. © Aliocha Merker
Kleine Geschichte der Zürcher Reformation
Um das Jahr 1500 gärt es in der Kirche des Abendlandes. Tut die Kirche noch das, was richtig ist? Erfüllt sie den Auftrag, der ihr aufgetragen ist? Nördlich der Alpen werden diese Fragen laut gestellt: In Wittenberg ist es 1517 Martin Luther, der der Kirchenleitung in Rom ein schlechtes Zeugnis ausstellt und eine Reformation – eine Umgestaltung der Kirche – zu bewirken versucht. Fast zeitgleich fordert in Zürich der Priester Ulrich Zwingli mit ähnlichen Argumenten die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft.
Am 1. Januar 1519 tritt Ulrich Zwingli sein Amt am Grossmünster an und fordert eine Rückbesinnung auf die Bibel. Zwingli predigt nicht mehr lateinisch, sondern in der Sprache des Volkes. Die Menschen sollen die Botschaft der Bibel selber verstehen und sich nach ihr ausrichten. Damit kommt die Reformation in Zürich ins Rollen und die geltende Ordnung ins Wanken.
Aus seinen Einsätzen als Feldprediger hat Zwingli die blutigen Bilder verletzter und sterbender Schweizersöldner im Kopf. So kämpft er auch politisch gegen das einträgliche Rekrutierungsgeschäft mit Jugendlichen und Männern. Zwingli rüttelt an der Ordnung, entlarvt frommen Schein, verdirbt Geschäfte. Die nach Selbstbestimmung strebende Bürgerschaft Zürichs steht hinter ihm, ebenso die Mehrheit der Landbevölkerung. Zu ihr predigt Zwingli auf dem Bauernmarkt am Fraumünster und schafft Hoffnung auf ein besseres Leben nicht erst nach dem Tod.
Schon Humanismus und Renaissance wollten die Wurzeln der europäischen Kultur neu freilegen. Der studierte Bauernsohn Zwingli ist überzeugt, dass nur die Bibel den Weg aus dem Dickicht aus Kirchenregeln, Volksglauben und Interessenwirrwarr weist. Noch vor der Lutherbibel wird die Zürcher Bibelübersetzung entwickelt. Die Menschen sollen selber lesen und denken lernen.
Einflussreiche Bürger setzen sich 1522 genüsslich über das von Zwingli in Frage gestellte Fastengebot hinweg: mit einem provokativen Wurstessen. Der Konflikt mit dem Bischof bricht offen auf. Der Rat der Stadt ruft zur «Disputation», einer öffentlichen Religionsdebatte. Dass ein weltliches Gremium über Kirchliches entscheidet, ist neu. Neu auch die Regeln: Nur nach der Heiligen Schrift soll es gehen. Zwingli wird Sieger nach Punkten. Die Reformation wird beschlossen. Stadt und Landschaft Zürich brechen mit der alten Kirche. Auch weite Teile der Eidgenossenschaft folgen der Zürcher Reformation: Es fällt der Ablasshandel, das Fastengebot, die Heiligenverehrung, der Zölibat, das Priesteramt und die ganze Kirchenhierarchie. Anstelle von Almosen und Kircheninventar investiert die Stadt in Armenfürsorge und Bildung.
Seit langem liegen Stadtrechte und Besitztümer Zürichs bei der Abtei Fraumünster. Deren Äbtissin Katharina von Zimmern löst in der heissen Phase der Reformation 1524 ihr Kloster auf und übergibt es samt Rechten der Stadt. In der Übergabeurkunde betont sie, sie habe ohne Zwang entschieden, die Zeit sei reif. So rettet sie Zürich vor einem Bürgerkrieg und sichert das Bestehen der Reformation.
Die Witwe Anna Reinhard lebt im Nebenhaus von Huldrych Zwingli. Sie pflegt ihn gesund, als ihn kurz nach seiner Ankunft in Zürich die Pest aufs Krankenlager wirft. Bald nach der Genesung zieht es den Priester zu ihr hin. Viele seiner Kollegen wohnen in dieser Zeit mit ihren inoffi ziellen Familien um das Grossmünster und kaufen sich beim Bischof frei. Zwingli aber will es offiziell und ehrlich machen. 1522 bittet er den Bischof, ihm und allen Priestern die Ehe zu erlauben. Vergeblich. Anna und Huldrych ignorieren die Absage. Sie heiraten zwei Jahre später in aller Öffentlichkeit
In seinen letzten Jahren wird Zwingli vom Impulsgeber zum Getriebenen der Ereignisse. Er befeuert eine aggressive Politik gegen romtreue Eidgenossen. 1531 zieht er selbst in den Krieg und stirbt nahe Kappel am Albis auf dem Schlachtfeld. Der Tote wird gevierteilt und verbrannt. Doch die Bewegung geht weiter.
Unter Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger gelingt der Brückenschlag zum Genfer Reformator Johannes Calvin. Die Schweizer Reformierten einigen sich auf ein gemeinsames Bekenntnis. Ihr Glaubens-, Lebens- und Kirchenverständnis strahlt in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten nach ganz Europa aus und verbreitet sich in der ganzen Welt.
Kennzeichen der reformierten Kirchen sind bis heute Schlichtheit des Gottesdienstes und der Kirchenbauten, eine demokratische Struktur, Selbstverantwortung und soziale Tat. Weltweit gehören etwa 80 Millionen Menschen zu einer reformierten Kirche mit Schweizer Wurzeln. Sie sind Teil der evangelisch-protestantischen Bewegung der ganzen christlichen Kirche durch Räume und Zeiten verbunden.
2019 waren es 500 Jahre, seit die Geschichte der Reformation in Zürich ins Rollen kam. Eine Geschichte, die die Welt veränderte – und es weiter tut.