Mit dem Velo näher zu den Menschen

Pendlergefährt, Sportgerät, Lifestyle-Vehikel: Das Velo ist so populär wie nie. Muss das auch die Kirche kümmern? Und kommt man Gott radelnd näher? Unsere Begegnung mit dem «Velopfahrer» aus Örlikon, Markus Dietz.

Gerade mal acht Treffer meldet die Bibelvolltextsuche beim Stichwort «Rad». Und natürlich keine zum Zwei- oder Fahrrad. Biblische Anfahrtswege zum Thema Velo führen in die Sackgasse, bevor man überhaupt Fahrt aufgenommen hat.

Hat die Kirche also überhaupt etwas beizutragen zu einem Mobilitäts-Phänomen, das so viele Menschen seit bald 200 Jahren bewegt? Muss es sie überhaupt kümmern, dass das Velo in den letzten Jahren noch einmal an Popularität gewonnen hat und für die einen aus ökologischen, für die anderen aus praktischen, stilistischen oder sportlichen Gründen zum bevorzugten Vehikel in einer immer mobileren Welt geworden ist?  

Unbedingt, findet Markus Dietz, Pfarrer im Zürcher Kirchenkreis 11 und ein Verfechter einer velofreundlichen Kirche.  «Velopfahrer» nennt er sich verschmitzt, wenn er zum Gottesdienst für Velofahrende einlädt, ein Anlass, der in Zürich-Nord diesen Sommer zum zweiten Mal unter seiner Leitung stattgefunden hat. «Wir feiern in Dankbarkeit und Freude über unser Leben, die Natur und unser Velofahren vor und mit Gott», erzählt der 63-Jährige.

Der Feier unter freiem Himmel ging letztes Jahr ein kleiner Corso der Radlergemeinde voraus. Im Nachgang gibt es Einrad-Workshops oder die Möglichkeit, sich von einer Rikscha vom Verein «Radeln ohne Alter Zürich» ausführen zu lassen. Für die Musik war diesmal der lokale Velomechaniker zuständig, der nicht nur Schaltzüge und Scheibenbremsen, sondern auch ein Akkordeon zu bedienen weiss.  

Potenzial für die Kirche 

Es gehe darum, Menschen zusammenzubringen, die die Freude am Zweirad teilen. Dieses Gefährt habe so viel Potenzial, ermögliche ein umwelt- und menschenfreundliches Vorwärtskommen: «So viele Begegnungen werden möglich, wenn ich mit dem Velo unterwegs bin. Als Velofahrer bin ich im Quartier sichtbar und langsam genug, um jederzeit anhalten zu können», erzählt Markus Dietz. Und ja, der ökologische Aspekt des Velofahrens sei ihm persönlich ebenfalls ein Anliegen, das er auch politisch beispielsweise an Velodemos mittrage.

Wenn man es mit der Bewahrung der Schöpfung wirklich ernst meine, sei es wichtig, dass die Kirche nach Möglichkeit auf das Velo setze. Sein Kirchenkreis tue dies schon seit einigen Jahren mit dem Projekt «Chile mobil» und dem entsprechend beschrifteten Lastenvelo.  Mit diesem Zweirad bringe man die Kirche in die weitläufigen, bisweilen anonymen Wohnquartiere am Stadtrand von Affoltern und Seebach. Man komme so mit den Menschen ins Gespräch und zeige auf sympathische und umweltfreundliche Weise kirchliche Präsenz. 

Sozialdiakonie auf Rädern 

Dass sich die Kirche mit dem Velo und für das Zweirad ins Zeug legt, erlebt man auch in anderen Kirchgemeinden: Die grosse Velobörse in Wetzikon und die Velostation am Bahnhof als Sozialprojekt beispielsweise entstanden unter anderem dank der lokalen Kirchen und des Cevi. Unter der Leitung des Sozialdiakons der reformierten Kirchgemeinde finden in Wetzikon auch regelmässig Velofahrkurse für Geflüchtete statt, oder man flickt und bastelt gemeinsam am Drahtesel in der «Reparierbar». Das Velo inspiriert hier zu gemeindebaulichem und sozial­diakonischem Wirken. 

Velopilgern 

Einige Kirchgemeinden an prominenten Velorouten zeichnen sich seit einigen Jahren auch als «Radwegkirchen» aus. Kirchen mit diesem Markenzeichen sind speziell ausgerichtet auf Velo­reisende. Sie laden mit langen Öffnungszeiten zur geistlichen Besinnung in ihren Kirchen. Sie sorgen für Rastplätze, Zugang zu Toiletten oder halten Velopumpen und Werkzeuge bereit. In Deutschland ist dieses Netzwerk schon ordentlich ausgebaut.

In der Schweiz haben sich bis jetzt nur wenige Kirchgemeinden darauf ausgerichtet. Im Kanton Zürich liegt diese Art des spirituellen Angebots für die wachsende Velofan-Gemeinde weitgehend brach, obwohl viel befahrene Velorouten und Rad-Pilgerwege – beispielsweise der «Meinradweg» nach Einsiedeln – durch den Kanton führen. Immerhin richtet sich das Pilgerzentrum St. Jakob in Zürich auch auf pedalierende Pilger aus und bietet in Zusammenarbeit mit dem reformierten Stadtkloster selber Velopilgerreisen an. «Gemächlich unterwegs sein, den Kopf leer fahren, das Herz füllen und Gott atmen», ist das Ziel solcher Reisen. 

Mit rundem Tritt zu Gott 

Bringt einen das Velofahren also doch auch näher zu Gott? Gibt es – wenn nicht biblische – so doch spirituelle Anfahrtswege zu einer velofreundlichen Kirche? Der deutsche evangelische Theologe und Velofan Thorsten Latzel ist überzeugt davon und präsentiert einige Analogien zum Leben und Glauben: «Das Geheimnis des Fahrradfahrens und des Lebens liegt darin, aufzuhören, geradeaus fahren zu wollen», schreibt er in einem Blog und verweist auf die Fliehkräfte, die durch Schlenker nach links und rechts entstehen und die einen aufrecht halten und vorwärts bringen.

Er erinnert an die Wichtigkeit des runden Tritts mit den Pedalen und den Wechsel von Kraft nehmen und Kraft geben. Und er verweist auf den Vorteil des Fahrens in Gemeinschaft, wo man auch mal vom Windschatten vorausfahrender Menschen profitieren darf. Der Zürcher Velopfarrer Markus Dietz mag es schlichter und hält es schmunzelnd mit dem Dichterpfarrer Kurt Marti: «Wie merk ich Gottes Weisheit wunderbar? – Wenn ich von Herzen Velo fahr.» 

Der «Velopfahrer» Markus Dietz

Velo-Hochburg Zürich 

Zürich ist seit langem ein gutes Pflaster für Velos und vor allem auch für den Radsport. Zeugen davon sind der «Wädlitempel», das Hallenstadion als ehemalige Heimstätte des Sechstagerennens, oder die über hundertjährige Offene Rennbahn in Oerlikon, auf der im Sommer bis heute Rennen gefahren werden.

Unvergessen auch die beiden Zürcher Radsport-Legenden Hugo Koblet und Ferdi Kübler, die den Radsport in den 1950-Jahren international dominierten.

Mehrfach war die Stadt Zürich auch Austragungsort der Rad-WM. Sie ist es auch dieses Jahr wieder – ab dem 21. September.