Junge Erwachsene: Viel Druck, wenig Hoffnung
Um die psychische Gesundheit junger Erwachsener steht es nicht gut. Auch kirchliche Anlaufstellen spüren die Not. Ein Nachmittag mit Linda Blumer, Hochschulseelsorgerin und Leiterin des Studicafés «Hirschli» am Hirschengraben 7 in Zürich.
Die fünfzehn Bistrotische sind fast alle mit Laptops belegt. Vor ihnen sitzen junge Menschen, nippen an einem Kaffee oder einem Wasser, tippen etwas in eine Tastatur. Viele tragen Kopfhörer, man will sich nicht ablenken lassen. Dabei gleicht die Geräuschkulisse der eines Hörsaals. Nur da und dort tauschen sich zwei über eine Semesterarbeit aus oder verhandeln etwas Uni-Tratsch.
Die 20- bis 30-jährigen Gäste des Studi-Cafés «Hirschli» sind auch an diesem Nachmittag hauptsächlich zum Arbeiten hier. Auch wenn alle an ihrem Ding sind, komme trotzdem ein Gefühl von Gemeinschaft auf, sagt Linda Blumer, Hochschulseelsorgerin und Leiterin des Cafés, das seit 2017 im Parterre des Hauses der Landeskirche am Hirschengraben 7 in Betrieb ist: «Wir sind ein Wohnzimmer für Studierende, ein dritter Ort neben Uni und Zuhause.»
Beratungsstellen am Anschlag
Linda Blumer bekommt als aufmerksame Gastgeberin mit, wie es ihren Gästen so geht: Angst vor Prüfungen, Siegerlächeln nach gelungenem Referat, Panik vor Abgabeterminen. All das bringen die angehenden Biomediziner, Juristinnen, Ärzte und Theologinnen mit ins Wohnzimmer. Und noch einiges mehr an emotionaler Last. Fragt man Linda Blumer nach einer Grundstimmung, bestätigt sie das, was überrannte Beratungsstellen seit einiger Zeit und einschlägige Studien übereinstimmend vermelden: Um die psychische Gesundheit von jungen Menschen steht es nicht gut.
Bereits vor, aber hauptsächlich mit der Pandemie häuften sich die diagnostizierten und die still ertragenen psychischen Belastungen bei jungen Menschen massiv, und auch drei Jahre nach dem letzten Lockdown ist kaum Entspannung spürbar. Linda Blumer kennt die Nöte ihrer Gäste. Auch bei ihr häufen sich diese Anfragen, obwohl das Seelsorge-Angebot des Hirschlis anfänglich eher zurückhaltend beworben wurde. Mehrere Stunden täglich sind mittlerweile in ihrer Agenda für solche Seelsorgegespräche gebucht.
Viele Optionen, viel Ablenkung
Was dann hinter verschlossenen Türen oder auf einem Spaziergang zur Sprache kommt, seien natürlich oft die Dinge, die die Generationen beim Übergang ins Erwachsenenleben immer schon beschäftigt haben: die Unsicherheit, ob man die Weichen richtig stellt bei der Studienwahl, in der Beziehung, in der Lebensplanung mit den vielen Optionen, die einem dabei offenstehen. Die Ablösung von der Familie, die Energie, die einem das Studium abverlangt.
Zu diesen Belastungen sind in den letzten Jahren neue hinzugekommen, sagt Linda Blumer: «Die jungen Menschen kämpfen mit vielfachen gesellschaftlichen Ansprüchen, denen sie meinen genügen zu müssen.» Die Social-Media-Präsenz, der permanente Austausch mit anderen auf verschiedenen digitalen Kanälen, könne unheimlich anstrengend werden. «Viele sind ständig abgelenkt, verlieren dabei den Fokus», erzählt die Seelsorgerin. Viele hätten ein Arbeits- und Zeitmanagement nötig, gerade auch jene bedenklich grosse Gruppe mit ADHS-Symptomen.
Düstere Weltsicht
In den Seelsorgegesprächen begegnet die 38jährige Theologin einem weiteren, zeittypischen Phänomen der Generation Z: ein desillusionierter und pessimistischer Blick auf die politische Grosswetterlage mit sich häufenden Kriegen und globalen Krisenherden und tiefe Sorgen und eine gefühlte Hilflosigkeit bezüglich des katastrophalen Gesundheitszustands des Klimas und der Umwelt. «Das drückt sehr auf die Stimmung unserer Generation», bestätigt eine ehemalige Studentin und Hirschli-Besucherin diese Sichtweise. Die 25-Jährige hat ihr Studium seit kurzem abgeschlossen und ist im Berufsleben angekommen.
Diese düstere Sicht auf die Zukunft der Menschheit habe auch konkrete Folgen für die eigene Lebensplanung: Kaum jemand in ihrem Freundeskreis könne sich vorstellen, dereinst Kinder in die Welt setzen zu wollen, weil die Zukunft schlicht zu düster erscheint, oder weil man befürchte, all den damit verbundenen Ansprüchen in Job und Familie nicht auch noch gewachsen zu sein. Auch das Gefühl der Überforderung durch die Dauerpräsenz im digitalen Raum, die ständige Verfügbarkeit, kennt die junge Berufsfrau zur Genüge von Altersgenossinnen und aus eigener Erfahrung. Es habe sie während der stressigen Schlussphase ihres Studiums selber an die Grenze zur Verzweiflung gebracht und sie damals bewogen, professionelle Hilfe zu holen.
Schnell Hilfe holen
Dass man psychologische Hilfe dann auch zeitig bekommt und nicht für Monate auf einer zermürbend langen Warteliste landet, ist heute keine Selbstverständlichkeit. Die Hochschulseelsorgerin im Hirschli kann die wachsenden Anfragen zum Glück immer noch gut meistern und auch kurzfristig Zeit für ein Gespräch einräumen. Sie vermag so, die sich anbahnende psychische Notsituationen zu entschärfen, weiterzu vermitteln und Wege aufzuzeigen, die für die Stabilisierung und Heilung entscheidend sind. Es sei wichtig, dass die Menschen sich möglichst früh öffnen können und Belastungen nicht allein zu tragen versuchen, sagt Linda Blumer.
Sie möchte deshalb die Hemmschwelle für ein Seelsorgegespräch möglichst tief halten und ist immer auch für informellen Austausch und gern auch für Smalltalk zu haben: «Wenn der Schuh drückt, wo auch immer, haben wir ein offenes Ohr», ist das Credo des Hirschli-Teams. Ausserdem sitzen im «Uni-Wohnzimmer» ja immer auch noch andere Studierende, mit denen man Sorgen teilen kann, die einen auf andere Ideen bringen oder die einen mit Unbeschwertheit und Lebensfreude – auch darüber verfügen junge Erwachsene – einfach mal mitreissen
Text: Christian Schenk; Fotos: Reto Schlatter
Ein offenes Ohr für Junge Menschen
Die Kirche hat auch einen Draht zu jungen Menschen in der Lehre: «Kabel» ist die Fachstelle der Reformierten und Katholischen Kirche im Kanton Zürich für die Beratung, Begleitung und Unterstützung rund um die Berufslehre. «Kabel» unterhält elf regionale Fachstellen, z.T. direkt an Berufsschulen.