Junge zu begeistern ist eine Kunst

Was brauchen Jugendliche und was kann ihnen die Kirche bieten? Ein Gespräch über Beziehungsarbeit, die Suche nach Identität und Glauben mit Diana Abzieher, der Projektleiterin des Jugendfestivals «REFINE».

Wo steht die kirchliche Jugendarbeit heute?

Sie entwickelt sich stetig weiter. Fand die Jugendarbeit vor einigen Jahren noch hauptsächlich in der eigenen Kirchgemeinde statt, wird heute vieles regional gedacht und mit anderen Kirchen zusammengearbeitet.

Die Kirchgemeinden von Winterthur oder das Zürcher Oberland organisieren je ge­mein­same Sommer- und Herbstcamps. Auch werden in den Regionen gemeinsame Jugendleitendentreffen und Grümpi-Turniere abgehalten.

Welche Formate gibt es konkret?

Es gibt Angebote, die in ökumenischer Zusammenarbeit erfolgen, etwa den Jugend­gottesdienst «Praise 6». Unter den regionalen Jugendgottesdienstformaten sind der «Brighter» im Zürcher Oberland oder «Life Tap», eine Zusammenarbeit von Freikirchen und reformierten Kirchgemeinden im Zürcher Unterland, zu nennen.

Bei den zeitgemässen Formaten für junge Erwachsene erwähne  ich «FänstersimsZiit», ein Format für künstlerische Betätigung, oder den «Debattier­klub», wo sich junge Erwachsene mit den Fragen des Lebens auseinandersetzen, oder «Faith­space319», ein Angebot der Reformierten Kirche Furttal.

Was sind dabei die Herausforderungen? 

Manche Kirchgemeinden haben geringere finanzielle oder personelle Ressourcen in der Jugendarbeit. Kleine ländliche Kirchgemeinden haben Schwierigkeiten, Jugendarbeitende zu finden. Sie schliessen sich zusammen, um eine gemeinsame Jugendarbeiterin, einen Jugendarbeiter anzustellen. Auch das ist oft schwierig.

Dann gibt es schlicht weniger Jugendliche, etwa weil sie in ihrer Freizeit­gestaltung über viele Möglichkeiten ver­fügen und sich nicht gern festlegen wollen.

Wo liegen Chancen und Potenziale, junge Menschen zu begleiten?
Wir haben viele Möglichkeiten, Jugendliche in ihrer Entwicklung zu unterstützen und sie ein Stück weit auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse der jungen Menschen zu erkunden, ihr Lebensumfeld und ihre Lebenssituation wahrzunehmen.

Kirchgemeinden sollten offen sein, Kooperationen eingehen und den Mut ha­ben, neue Wege zu gehen. Das braucht oft einen langen Atem und Toleranz, aber es lohnt sich.

Was brauchen die Jungen in verschiedenen Alterssegmenten?

In der frühen Jugend, zwischen 10 bis 14 Jahren, stehen vor allem die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Akzeptanz in Gruppen im Vordergrund. Jugendliche suchen nach sozialen Bindungen und möchten in Gruppen integriert werden. In der mittleren Jugend (15 bis 17 Jahre) gewinnen Identität und Selbstfindung an Bedeutung. Es geht darum, autonom zu werden und eigene Entscheidungen zu treffen.

In der späten Jugend (ca. 18  bis 21 Jahre) rücken Zukunftsfragen in den Fokus. Hier sind Bedürfnisse nach Orientierung und Unterstützung bei der beruflichen und persönlichen Entwicklung entscheidend. In allen Lebensphasen ist es wichtig, dass Erwachsene als vertrauensvolle Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Wie kann die Kirche sie ansprechen?

Wir müssen unsere Kommunikationsstrategie an ihre Lebenswelt anpassen. Die Nutzung von sozialen Medien wie TikTok und Instagram und digitale Plattformen ermöglichen es, junge Menschen dort anzusprechen, wo sie sich viele Stunden am Tag aufhalten – im Netz. Online-Gruppen, Livestreams von Gottesdiensten, Podcasts oder interaktive Formate, wie etwa Minecraft–Kirche, sprechen Jugendliche an.

Wichtig ist nicht nur die Informationsvermittlung, sondern Formate, bei denen Jugendliche beteiligt werden und ihre Ideen einfliessen.

Welche Botschaften sind dabei zentral?

Die Inhalte sollten positive und inspirierende Botschaften vermitteln. Dies kann durch Zitate, Geschichten von Jugendlichen oder Informationen über soziale Projekte geschehen. Umfragen oder Feedbackschleifen helfen, herauszufinden, was die Jugendlichen interessiert.

In den sozialen Medien aktiv zu werden ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn die Kommunikation authentisch ist. Zudem braucht es regelmässige Updates, damit das Interesse der Jugendlichen bestehen bleibt.

Welche formalen Faktoren fördern eine gute Jugendarbeit?

Ein förderlicher Faktor ist die interprofessionelle Zusammenarbeit, der Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen Pfarrper­-sonen, Sozialdiakoninnen, Katechetinnen. Dies kann dazu beitragen, die Bedürfnisse von Jugendlichen besser zu erkennen und zu adressieren.

Zudem bewährt es sich, die Kinder- und Jugendarbeit altersübergreifend zu gestalten, indem ältere Jugendliche als Mentoren für Jüngere fungieren. Das Konzept der Jugendleiter-Ausbildung ZAK (Zusammen auf Kurs) regt dieses Prinzip an. Die Begleitung der Jüngeren durch die Jugendleiterinnen stärkt das Selbstbewusstsein und die sozialen Kompetenzen beider Gruppen.

Wissen Jugendliche, wie sie sich im Glauben orientieren? 

Oft fällt es ihnen schwer zu entscheiden, was für sie richtig ist, oder zu artikulieren, wenn sie sich unwohl fühlen. Dem liegt eine Angst zugrunde, nicht mehr dazuzugehören oder sich zu blamieren. Gerade deshalb ist es nach der Konfirmation wichtig, jungen Menschen eigene spirituelle Erfahrungen zu ermöglichen, damit sie entscheiden können, wie sie ihre persönliche Glaubenspraxis leben und gestalten wollen.

Wir können sie dabei unterstützen, indem wir mit ihnen verschiedene Glaubensüberzeugungen und Frömmigkeitsformen wertfrei reflektieren. Zu diesem spirituellen Erkunden können auch Anlässe in anderen konfessionellen Umfeldern gehören. Dabei sollen sie durch eine Person der reformierten Kirchgemeinde begleitet werden. Nach dem Besuch ist es wichtig, einen Reflexionsraum anzubieten, wo das Erlebte eingeordnet werden kann – auch kritisch.

Wie können die kirchlichen Mitarbeitenden hier zum Gelingen beitragen?

Eine wertschätzende, respektvolle und offene Haltung gegenüber den Jugendlichen schafft ein vertrauensvolles Umfeld, in dem sich junge Menschen sicher fühlen und ihre Meinungen und Bedürfnisse äussern können. Pfarrpersonen und Jugendarbeitende sollten sich als Unterstützende verstehen, die Jugendliche in ihrer Entwicklung fördern, ohne sie zu bevormunden.

Das setzt gegenseitiges Vertrauen voraus . . .

Beziehungen sind das Herzstück jeder erfolgreichen Jugendarbeit. Regelmässige Gespräche, gemeinsame Aktivitäten und ein offenes Ohr sind Elemente, um dies zu fördern.

Was brauchen die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter ihrerseits?

Sie brauchen das Vertrauen der Kirchgemeinde, Freiraum zum Experimentieren und Verständnis, wenn etwas scheitert. Die Jugendarbeit befindet sich im Wandel, genauso wie die Lebenswelten und Bedürfnisse der Jugendlichen.

Die Jugendarbeit ist das schwierigste Arbeitsfeld der Kirche. Jugendliche anzusprechen und zu begeistern, ist eine Kunst, dafür sollten Jugendarbeitende in der Kirchgemeinde mehr Anerkennung, Vertrauen und auch Rückendeckung erhalten.

Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Ja. In meiner zehnjährigen Tätigkeit als regionale Jugendarbeiterin war es mir stets ein grosses Anliegen, junge Menschen bestmöglich für ihren Start in ein selbstbestimmtes Leben auszurüsten.

Es war mir wichtig, dass sie lernen, an sich zu glauben und erfahren, wie der Glaube an Gott ihnen in ihrem Leben Kraft, Hilfe und Hoffnung geben kann. Gleichzeitig sah ich es als zentral, mit ihnen über Glauben zu diskutieren und diesen kritisch zu hinterfragen.

Im November wird das reformierte Jugendfestival REFINE über die Bühne gehen. Was sind Ihre Wünsche?

Wir möchten jungen Menschen einen Raum eröffnen, in dem sie ihre eigene Glaubensidentität entdecken und eine gemeinsame Ju­gendkultur entstehen kann. Als Projektleiterin hoffe ich, dass REFINE den Jugendlichen eine tiefgehende Erfahrung ermöglicht, die sie langfristig prägt.

Sie sollen sich persönlich und im Glauben weiterent­wickeln können und inspiriert werden, neue Perspektiven zu gewinnen. Sie sollen spüren, dass sie Teil einer lebendigen Gemeinschaft sind, in der sie gehört werden und sich gegenseitig unterstützen können.

Ich hoffe auch, dass sie neue Freundschaften knüpfen, die über das Wochenende hinaus Bestand haben. Gleichzeitig soll das Fes­-tival ein Raum für Kreativität, Freude und Entfaltung sein, so dass alle mit einem gestärkten Gefühl von Zugehörigkeit nach Hause gehen.

Text: Madeleine Stäubli-Roduner

Reformiertes Jugendfestival 2025

«REFINE» ist das erste Jugend­festival der refor­mierten Kirchen der Deutschschweiz. Es wird vom 31. Oktober bis 2. November in Zürich-Nord stattfinden. Das Festival soll jun­ge Menschen zusammenbringen und ihnen die Erfahrung ermöglicihen, Teil einer grossen, lebendigen Gemeinschaft zu sein. 

refine.ch