Notfallseelsorge: Da sein in Extremsituationen

Die Notfallseelsorge ist vor Ort, wenn Menschen Schweres erleben. Wie hält man das aus? Pfarrer Stefan Keilwerth über eine Aufgabe, die viel abverlangt und ungemein wichtig ist.

Stefan Keilwerth, Notfallseelsorgende begleiten Menschen in Extremsituationen. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir sind etwa nach einem Verkehrsunfall, Suizid oder aussergewöhnlichen Todesfall da, halten aus, hören zu, geben Struktur und versuchen, Schritt für Schritt eine neue Perspektive in der grössten Aussichtslosigkeit zu eröffnen. Das wird geschätzt. Da werden wir gebraucht. Für uns Notfallseelsorgende ist das eine befriedigende Aufgabe, das bestätigen alle in unserem Team.

Wie agiert man am Ort des Unglücks? 

Wir kommen nicht mit dem religiösen Hut, sondern zuerst als psychosoziale Notfall­fachkräfte, als die wir auch ausgebildet sind. Wir schauen, was der betroffene Mensch braucht, was seine Ressourcen sind und klären das soziale Netz, das Halt geben kann. Wenn erwünscht und der Glaube eine tragende Rolle spielt, sind wir natürlich auch mit unserem religiösen Fachwissen da.

So manches Gebet und so manches Abschiedsritual hat schon Zuversicht geschenkt. Als Theologinnen und Theologen können wir für das Unverfügbare einen Raum eröffnen. Und da kann man immer wieder nur staunen, wie tröstend und verändernd dies oftmals ist.

Wie sind Sie in die Einsatzorganisationen eingebunden?

Wir sind als Care-Fachkräfte in die Strukturen der Einsatzorganisationen eingebunden. Das ist für unsere Auftragserfüllung hilfreich, da wir berechtigt sind, Schadenplätze zu betreten. Nicht nur von Betroffenen, sondern auch von Einsatzkräften erleben wir viel Wertschätzung, weil wir gerade Letztere entlasten und ihnen ermöglichen, ihrem Auftrag nachzukommen.

Derzeit gibt es nicht genug Seelsorgende, die diese Aufgabe übernehmen. Weshalb?

Die Notfallseelsorge ist eine Aufgabe, die von reformierten Pfarrpersonen und katholischen Seelsorgenden neben ihrer angestammten Aufgabe in Gemeinde oder Institution erbracht wird. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, welche seit Jahren dabei sind und eine hervorragende Leistung erbringen.

Die Herausforderung ist es, neben den ordentlichen Abgängen neue Personen zu finden. Viele Pfarrpersonen sind heute mit immer mehr Aufgaben konfrontiert. Dazu kommen Pensenkürzungen und der fehlende Nachwuchs in den Landeskirchen.

Wie dick muss die Haut sein, damit man sich diese Aufgabe zutrauen kann? 

Es braucht eine Begeisterung für Seelsorge mitten in der Gesellschaft. Dazu gehört, dass man mit beiden Beinen im Leben steht, psychisch stabil und bereit ist, schwierige Situationen mitauszuhalten. Es braucht die Bereitschaft, mit Einsatzorganisationen zu arbeiten und sich in ihre Struktur und Sprache einzufügen.

Was bedeutet es, auf Pikett zu sein?

Wer Pikettdienst hat, wird durch die Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich zu einem Einsatz aufgeboten. Dort wird er durch die Einsatzkräfte instruiert. Es kann gut sein, dass man in der Pikettdauer, die jeweils 24 Stunden dauert, nicht aufgeboten wird, oder aber mehr als einmal gefragt ist. Wir leisten jährlich gegen 290 Einsätze, zu allen Tages- und Nachtzeiten. 

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner

Pfarrer Stefan Keilwerth

Pfarrer Stefan Keilwerth ist Gesamtleiter Notfallseelsorge Kanton Zürich und Seelsorger für Rettungskräfte