Blog: «Wie ein Sämling in der Erde»
Sarah Staub spürt Frühlingshoffnung und schreibt darüber, wie die grosse Frage nach dem «Warum» Einfluss auf Depressionen haben kann.
Hier oben auf dem Berg, wo ich wohne, hält sich der Winter wie ein hartnäckiger Husten. Er lauert in Felsritzen und den steilen Fichtenwäldern und droht dem nahenden Frühling mit der Faust. Ich gewöhne mich wohl nie an späten Frost und Schneeregen. Doch wenn die Luft nach dunkler, saftiger Erde zu riechen beginnt, Schlüsselblumen und Märzenbecher aus dem Wiesengras spienzeln, der letzte Schnee sich mürrisch auf die Gipfel verzieht, kommt sie bei mir auf: Frühlingshoffnung.
Dieses Jahr ist sie besonders deutlich, denn ich bin lange wie ein vertrockneter, lebloser Sämling in der dunklen Erde gesessen und habe die endlos dauernde Winterdunkelheit beweint, die sich in mir ausgebreitet hat. Ich habe nicht damit gerechnet, dass meine Tränen kleine Hoffnungszwiebeln bewässerten und sie zum Keimen brachten. Jetzt durchbrechen sie vorwitzig die Oberfläche. Es will in mir neu geboren, die Depression besiegt, dem Winter mit lebensfrohem Grinsen zurückgewunken werden.
Eine Depression zu haben ist nichts, was man sich aussucht. Es passiert einfach, so wie wenn man am Abend das Licht ausschaltet und auf einmal alles schwarz wird. Erst mit der Zeit haben sich meine Augen an die Schwärze gewöhnt. Erst mit der Zeit habe ich realisiert, dass die Finsternis Schattierungen hat. Später habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wieso gerade ich depressiv geworden bin – ich, die Frohnatur, ich, das Stehauf-Menschchen . . .
Keine Antwort
Die scheinbar offensichtlichste Antwort liegt wie ein zerknülltes Papiertaschentuch am Wegesrand: Ich bin auf der Suche nach der Ursache meines miserablen Gesundheitszustands durch tiefe Gefühlswildwasser gewatet. Hunderte von Arztbesuchen, Abklärungen und Untersuchungen. Ich habe mit der überraschenden Diagnose «genetische Bindegewebserkrankung» Schock und Erleichterung zugleich erfahren. All das hat mich auch psychisch krank gemacht. Den subtileren Mit-Grund für meine Depression jedoch realisierte ich erst später: Ich scheiterte an der grossen Theodizeefrage, der Frage, wieso Gott Leid zulässt. Ich dachte, ich hätte sie für mich schon längst dekonstruiert und später rekonstruiert. Ich lag falsch...
Dass der Frühling nun in mir drin anbricht, hat nichts damit zu tun, dass ich eine Antwort auf die Frage gefunden hätte. Es hat scheinbar von allein angefangen, in mir zu spriessen – unterstützt von Therapie, Medikamenten und Zeit. Es hat wohl auch damit zu tun, dass ich mich und meine Krankheit besser akzeptieren kann – auch die Tatsache, dass sich daran nichts ändern lässt. Ich habe mich damit arrangiert oder arrangieren müssen. Ich habe gelernt, besser damit klarzukommen.
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