Pfarrerin und Fotografin: Nahe am Leben, nahe am Tod
Silvia Trüssel ist Pfarrerin und im Nebenberuf Fotografin. In beiden Professionen findet sie das echte Leben. Was das heisst – und warum das auch mit dem Tod zu tun hat, zeigt sie in einer Ausstellung.
Es ist laut in der Montagehalle und es riecht nach Holzspänen, Leim und Lackspray. Es sirren die Fräsen, es surren die Montageroboter, und am Ende der Produktionsstrasse schultert ein Arbeiter einen der zu Dutzenden gestapelten, nagelneuen Särge.
Silvia Trüssel beobachtet die Szenerie in einer grossen Sargfabrik in Lindau stundenlang und fängt sie mit ihrer Fotokamera ein. Immer wieder wechselt sie die Position, fokussiert auf einzelne Handgriffe, um das Handwerk und die Menschen, die es meistern, detailliert und nahe zu erfassen. So entstehen Fotos und Bilderreihen, die den Betrachter später hautnah und ungestellt erleben und vielleicht sogar hören und riechen lassen, wie es in einer Sargfabrik zu- und hergeht.
Ein spezielles Handwerk, direkt und ungeschönt abgebildet – das dürfte beim Betrachter später einiges auslösen. Genau dies erhofft sich die Fotografin. Sie arbeitet derzeit an einem Ausstellungsprojekt, das den handwerklichen Umgang mit dem Tod in verschiedenen Facetten zeigen soll. Sie hat dazu auch eine Künstlerin besucht, die Urnen aus Ton herstellt und bemalt, und sie hat einen Grabkünstler und Steinmetz mit ihrer Kamera bei der Arbeit begleitet.
Das Handwerk des Abschieds
Wenn Menschen dann dereinst ihre Fotos betrachten, wird das Thema Sterben fassbar und die Hemmschwelle niedriger, um sich damit auseinanderzusetzen und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. An diesen Punkt bringt Silvia Trüssel dann auch ihre andere Berufsrolle, jene als Pfarrerin und Seelsorgerin, ins Spiel. Mit dem Tod ist sie als Pfarrerin – nicht gerade handwerklich –, aber doch auch beruflich stark befasst.
Sie erlebe dabei allzu oft, dass sich Menschen erst dann über den Tod – den eigenen und jenen der Angehörigen – zu sprechen getrauten, wenn es schon spät oder zu spät ist. Warum sich nicht darüber austauschen, wenn nicht Trauer und Schock alles überschatten? Vielleicht auch über Dinge wie die Gestaltung der Urne oder die Beschaffenheit eines Sargs. Über solch handfeste Dinge könne das Gespräch dann leichter auch zu den grossen und existenziellen Fragen führen.
Solche Diskussionen will die Seelsorgerin und Fotografin aktiv und unverkrampft anstossen. Mit ihren Bildern gestaltet sie dafür in Regensdorf unter dem Titel «Handwerk des Abschieds» eine eigene Ausstellung. Sie soll so konzipiert sein, dass sie später auch andere Kirchgemeinden mieten können. Und sie soll Ausgangspunkt dafür sein, im Rahmen von Bildungsanlässen oder weiteren Veranstaltungen mit den Besucherinnen und Besuchern über das Sterben und Abschiednehmen ins Gespräch zu kommen.
Mit Menschen ins Gespräch kommen
Über packende Fotografien mit Menschen ins Gespräch zu kommen – das gelingt Silvia Trüssel auch mit Natur- und Tierbildern aus Namibia. Seit einigen Jahren reist sie immer wieder in den Süden Afrikas, lauert tage- und wochenlang auf den richtigen Moment, um ein Nilpferd oder eine Löwin im genau richtigen Moment mit ihrer Kamera einzufangen.
Die eindrücklichsten Bilder zeigt die 49-jährige Weltenbummlerin nach der Rückkehr dann einem interessierten Publikum. Gerade in der Altersarbeit könne sie mit den Bildern wunderbar arbeiten. Oder sie organisiert auf Wunsch auch Begegnungsreisen nach Namibia, wo sie auch gute Kontakte zur örtlichen Deutschen Evangelisch-lutherischen Kirche aufgebaut hat.
Sie liebe das Reisen, sie sei so etwas wie eine Nomadin, sagt Silvia Trüssel schmunzelnd. Auch ihr bisheriges Berufsleben nahm immer wieder überraschende Wendungen und Abzweigungen: der Traum von Archäologie und die Liebe zur Mathematik in der Jugend, dann gleichwohl der Weg in die kaufmännische Lehre und zu einem Job in der Grossbank.
Später Erwachsenenmatur und Theologiestudium, anfänglich ganz ohne den Plan, Pfarrerin zu werden. Dann doch die wachsende Freude am vielfältigen Pfarramtsdienst und an den Aufgaben als Seelsorgerin. Gleichzeitig die grosse Lust am Reisen, die Entdeckung der Fotografie und entsprechende Ausbildungen.
Das echte Leben bis zum Ende
Wie das alles zusammenpasst? Für Silvia Trüssel ist es «ein unendlich grosses Gottvertrauen», das sie durch alle Wendungen des Lebens trägt, und das Interesse und ihre Liebe «zum echten, ungestellten Leben». Sowohl als Fotografin wie auch als Pfarrerin gehe es um das genaue Hinschauen und Hinhören.
Es gehe um die Freude am Entdecken, am Anteilnehmen am Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Und es gehe auch um das Arbeiten mit dem Gesehenen, dem Gehörten, mit den Geschichten des echten Lebens, und zwar vom Anfang bis zum Ende.
Text: Christian Schenk; Fotos: Silvia Trüssel
«Handwerk des Abschieds»
Die Ausstellung «Handwerk des Abschieds» zeigt Fotografien von Silvia Trüssel. Sie stammen aus einer Sargfabrik, einem Atelier, in dem Tonurnen hergestellt werden, und aus der Werkstatt eines Grabsteinkünstlers. Die Bilder werden im Februar 2025 in Regensdorf zu sehen sein.
Silvia Trüssel arbeitet als Pfarrerin, Fotografin und gelegentlich auch als Reiseleiterin. Kontakt: silvia.truessel@kirche-furttal.ch
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