20 Jahre Interreligiöser Runder Tisch: «Wir bleiben im Gespräch»
Der Interreligiöse Runde Tisch im Kanton Zürich hält den Dialog der Religionen seit 20 Jahren aufrecht und bewährt sich auch in Krisenzeiten. Der Vorsitzende Raphael Meyer über Geduld, Vertrauen und den grossen Wert von kleinen gemeinsamen Nennern.
Raphael Meyer, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit am Runden Tisch?
Der Interreligiöse Runde Tisch kann vieles, aber sicher nicht zaubern. Manchmal kursieren Idealvorstellungen, die jedoch nicht der Realität entsprechen. Der Runde Tisch ist anspruchsvoll, er braucht Vertrauen, Geduld und Frustrationstoleranz. Für uns gilt: Der Weg ist das Ziel. Es geht darum, miteinander zu reden und unterschiedliche Meinungen stehen zu lassen. Gerade für die grossen christlichen Kirchen ist es wichtig, sich zurückzuhalten und nicht für alle entscheiden zu wollen, was richtig und was falsch ist.
Was waren Meilensteine in der 20-jährigen Geschichte dieses Gremiums?
Während des Corona-Lockdowns organisierte der IRT ein interreligiöses Gebet und trat als starker Vermittler gegenüber dem Kanton auf, damit auch kleine Religionsgemeinschaften in dieser Zeit finanziell unterstützt wurden. Durch die Geschichte des IRT ziehen sich Stellungnahmen gegen Hass, Gewalt und Fundamentalismus wie ein roter Faden. An diesen Stellungnahmen ist das Signal entscheidend, dass wir als Religionsvertreter auch in Krisen miteinander im Gespräch bleiben. Gerade in Ländern, wo religiöse Konflikte aufgeheizt sind, zeigt sich, dass Menschen aufgehört haben, miteinander zu sprechen.
Was bedeutet diese Haltung für die Rolle des IRT in aktuellen Ereignissen?
Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz schwer getroffen, viele haben Verwandte in Israel und sind persönlich betroffen. Wir dürfen der Versuchung nicht nachgeben, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Denn das Sicherheitsgefühl der jüdischen Community in der Schweiz ist nachhaltig erschüttert. Als kleine Minderheit ist sie verletzlich. Als Vorsitzender des Runden Tisches darf ich nun aber nicht einseitig Stellung beziehen, auch wenn ich dadurch Menschen enttäusche oder meine Haltung als lavierend empfunden wird. Der IRT kann sich nicht immer klar positionieren. Vielmehr muss er vermitteln, und dies auch gegenüber weniger beachteten Religionsgemeinschaften wie etwa den Hindus.
Gilt das auch in der herausfordernden Diskussion über Beiträge für nichtanerkannte Religionsgemeinschaften?
Ja. In dieser Diskussion habe ich zuweilen den Eindruck, dass Religionsgemeinschaften gegeneinander ausgespielt werden. Beispielsweise greifen etablierte Medien die Thematik immer wieder mit populistischen Forderungen auf, indem sie etwa davor warnen, die muslimische Bevölkerung stärker einzubeziehen. Ich will auch keine Hasspredigten in Moscheen, aber der beste Weg, um dies zu verhindern, ist es gerade, den Dialog mit Muslimen zu führen und sie stärker einzubeziehen. Die Spaltungstendenz in Medien und Politik ist vermutlich auflagenfördernd beziehungsweise profilstärkend, aber die Welt ist nicht schwarz-weiss. Ich lehne auch eine reine Symbolpolitik und billigen Populismus auf allen Seiten ab. Die medial oft befeuerte Empörungshaltung – wie jüngst etwa bei der Provokation durch Sanija Ameti – verschärft die Eskalation und wirkt destruktiv.
Das tolerante Miteinander wird heute auch medial recht eindringlich beschworen, trotzdem scheinen sich immer mehr Gräben auch zwischen religiösen Gruppierungen zu öffnen. Was ist hier zu tun?
Wir arbeiten wie bis anhin geduldig, behutsam und bleiben fest im Gespräch. Ja, manchmal suchen wir eben den kleinsten gemeinsamen Nenner, was damit zu tun hat, dass wir unsere Eigenheiten pflegen und unsere Profile nicht verwässern wollen. Aber wir lassen uns nicht von spalterischer Tendenz und negativer Stimmung anstecken. Wichtig ist unser Signal, dass wir am Runden Tisch sitzen bleiben und einander ausreden lassen.
Was möchten Sie am Runden Tisch den Vertreterinnen und Vertretern der anderen Religionsgemeinschaften gern sagen?
Keine Religionsgemeinschaft am IRT steht über den anderen, alle sind gleichermassen wertvoll in der Zürcher Religionslandschaft. Es ist wichtig, dass wir weiterhin füreinander Sorge tragen.
Interview: Madeleine Stäubli-Roduner
«Wir lassen uns nicht von spalterischer Tendenz und negativer Stimmung anstecken.»
Auf einander zugehen
Die religiöse Landschaft in der Schweiz ist durch eine zunehmende kulturelle und religiöse Vielfalt geprägt. Als Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften können wir diese Vielfalt leben und die Herausforderungen meistern, indem wir mit sichtbaren Schritten aufeinander zugehen und voneinander lernen. Der interreligiöse Dialog leistet dazu einen wichtigen Beitrag.