Wie aus einer Beiz auch eine Kirche wird
Gemeinschaft im Alltag: Simon Obrist wirtet im «Hinteren Hecht» und macht aus der Beiz auch eine Kirche.
«Als Gastgeber hat man das Potenzial, Fremde zu Freunden zu machen»: Simon Obrist wirkt als Gastro-Diakon und pflegt Projekte der Gastfreundschaft passioniert und inspiriert. Vor Jahren schon hegte der Diakon den Wunsch, eine eigene Cafébar zu führen. Dabei ging er vom Bild des «Diakonae» aus, von einem «Tischdiener» also, der nach biblischer Vorstellung den Witwen und Waisen dient. Die Gastronomie vermöge an einem öffentlichen Ort Gastfreundschaft anzubieten und Menschen in einer Gaststube familiär aufzunehmen, sagt Obrist.
Beliebter Treffpunkt
2017 bekam er als Sozialdiakon von der Kirchgemeinde Winterthur Seen den Auftrag für ein Gastroprojekt. Er gründete den Verein «Friendship In Town», um in der Winterthurer Altstadt mit einem Team von 30 Personen einen Ort der Freundschaftspflege zu schaffen. Das Lokal «Zum Hinteren Hecht» eröffnete 2019 seinen Betrieb und entwickelte sich zu einem beliebten Treffpunkt. Finanziell unterstützt vom Winterthurer Stadtverband, stellte sich der unabhängige Verein auf die beiden Standbeine Gastronomie und Kultur.
Das Gastro-Angebot läuft selbsttragend und beschäftigt mittlerweile 15 Mitarbeitende, die den Sieben-Tage-Betrieb ermöglichen. «Unser Angebot ist weitherum bekannt und wird von Leuten innerhalb und ausserhalb der Kirche geschätzt. Die Gäste fühlen sich wohl bei uns und identifizieren sich», sagt Obrist. Die Räume des einstigen Rossstalls werden regelmässig gebucht, von linkspolitischen bis zu freikirchlichen Kreisen. Manchmal lösen ihre unterschiedlichen Positionen zwar Dynamiken aus, aber diese greift Obrist sorgsam auf, um ein Kippen der Stimmung zu verhindern. «Es ist herausfordernd, derart diverse Personengruppen unter einem Dach zu vereinen, aber wir wollen alle leben lassen», sagt der 46-Jährige. Ab und zu besuchen kirchenferne Gäste sogar das Tagzeitgebet am Dienstagmittag.
Miteinander in Vielfalt
Dieses Miteinander in Vielfalt dürfte auch seinem vermittelnden Wesen zuzuschreiben sein. Aufgewachsen in einer Freikirche, liess sich Obrist in Aarau zum Sozialdiakon ausbilden, baute die Streetchurch mit auf, absolvierte eine Management-Ausbildung und betätigt sich nebenbei als Koch, Maler und Barista-Liebhaber. Der Kirchenpfleger der Kirchgemeinde Zürich, kirchliche Pionier und Familienvater von vier Kindern in Höngg mag die Basisarbeit und kann im «Hinteren Hecht» den Staubsauger auch mal selbst in die Hand nehmen. Sein Herz schlägt für Kirche als Gemeinschaft im Alltag. Zu dieser gehöre auch Gott, Gebet und Singen, sagt er: «Wir haben ein Haus mit vielen Zimmern, in denen Verschiedenes stattfindet. Es ist schön, wenn jemand auch in ein Zimmer geht, das er oder sie noch nicht kennt.»
Menschen erlebt er als enorm vielfältig, darum ist er überzeugt: «Jeder Mensch geht seinen eigenen Weg mit Gott, meinen Auftrag sehe ich darin, unterwegs zu sein und ihnen zu begegnen.» Für die Zukunft hofft er, dass die Gastroszene, geprägt vom diakonischen Selbstverständnis, weiterwachsen kann und auch die nötige finanzielle Unterstützung erhält. Für ein Projekt wie «Friendship In Town» müsse eben «extrem viel stimmen», sagt Obrist.