Lange verfolgt, endlich versöhnt – 500 Jahre Täufer

Warum sorgte ausgerechnet die Taufe für eine harte Trennung und Verfolgung der Täufer? Und wie gelang die Versöhnung? Eine Zeitreise zu den Ursprüngen einer Glaubens­bewegung, die 1525 in Zürich begann und nächstes Jahr hier Jubiläum feiert.

Die Menschen in Zürich erleben Anfang der 1520er Jahre aufwühlende Zeiten. Die Reformation unter Führung von Ulrich Zwingli hat sich in wenigen Jahren durchgesetzt und das Leben umgekrempelt. Was gestern noch galt, ist heute verpönt. Traditionen, Regeln des Zusammenlebens und Glaubens­gewissheiten werden über Bord gekippt.

Die Rückbesinnung auf das Evangelium, der direkte Zugang jedes Menschen zur Botschaft der Bibel ist das neue Credo und der Massstab dafür, was in Zürich gelebt und geglaubt werden soll: Fasten, Beichten, Heiligenverehrung, Eucharistie – alles wird hinterfragt, umgedeutet oder auch gecancelt.

Taufe für Erwachsene

Und was ist mit der Taufe? Bleibt das Sakrament, das die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft markiert, unangetastet? Für Zwingli spricht nichts dagegen – auch nicht, Kinder bald nach der Geburt zu taufen, wie dies im gesamten Christentum seit dem 5. Jahrhundert die Norm und faktisch Pflicht war.

Das sehen einige Mitstreiter Zwinglis mit Blick auf die Bibel anders: Die Apostel hätten nur jene getauft, denen Christus vorher verkündigt worden war und die die Taufe auch wollten. Auch Jesus liess sich als Erwachsener taufen, argumentieren sie. Wer die konsequente Nachfolge lebt, tue es ihm gleich und bekenne erst als Erwach­­sener und aus freien Stücken bei der Taufe seinen Glauben. Und so geschieht es dann auch: Im Januar 1525 finden in Zürich erste Erwachsenentaufen statt – die Geburtsstunde der Täuferbe­wegung.

Aus heutiger Optik würde man die Aktion wohl als nachvollziehbar oder zumindest als diskutabel taxieren. Vielleicht käme man auch zum Schluss, dass man sich nicht zwingend auf eine fixe Praxis festlegen müsste und sowohl die Kinder- als auch die Erwachsenentaufe zulassen dürfte. Die heutige reformierte Kirchenordnung (Artikel 45ff) lässt explizit beide Wege offen, und sie anerkennt die Taufen anderer Kirchen.

Nulltoleranz 

Nicht so 1525: Die Epoche kannte weder Deutungsfreiheit noch Toleranz. Schon gar nicht bei der Frage, wie getauft werden soll. Diese Frage anders als die Meinungsführer, also Zwingli und der Rat von Zürich, zu beantworten, war lebensgefährlich. Die ersten Täufer von Zürich, unter ihnen ein Felix Manz, haben es trotzdem getan – und mit dem Leben bezahlt.

Der ehemalige Weggefährte Zwinglis und Autor einer Schrift gegen die Kindertaufe wurde zum Tod verurteilt und am 5. Januar 1527 in der Limmat ertränkt. Weitere Anhänger der Täufer (auch Wiedertäufer, Anabaptisten genannt), wurden fortan hartnäckig verfolgt, verbannt oder getötet.

Nicht nur in Zürich, sondern überall in Europa, wo sich ähnliche Bewegungen (z. B. die Mennoniten in Nordeuropa) herausbildeten. Die Repressionen sorgten dafür, dass die zeitweise recht zahlreiche täuferische Bevölkerung auf Zürcher Territorium bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts fast vollständig verschwand, schreibt das Historische Lexikon der Schweiz.

Fluchtorte für verfolgte schweizerische Täufer (man nannte sie auch «Schweizer Brüder») waren Mähren, später das Elsass und die Pfalz, die Niederlande oder Nordamerika. In den meisten dieser Regionen finden sich heute noch Nachkommen dieser schweizerischen Täufer. Auch die Amischen in den USA, bekannt für ihre traditionsverbundene bäuerliche Wirtschaftsweise, sind Nachkommen der schweizerischen Täuferbewegungung. 

Späte Reue

«Wir bekennen, dass die damalige Verfolgung nach unserer heutigen Überzeugung ein Verrat am Evangelium war und unsere reformierten Väter in diesem Punkt geirrt haben», sagte die Zürcher Landeskirche 2004 und macht die Anerkennung ihrer Schuld mit einer Versöhnungsfeier und einer Gedenkplatte am Ort der Ermordung der Täufer am Limmatufer öffentlich sichtbar.

Die Einsicht über das Unrecht war langsam, aber doch schon früher gereift. 1815 hatte man sich in Zürich und der Schweiz zu einem «Duldungs­edikt» der Täufer durchringen können. Nochmals ein Jahrhundert später wollte man das Gedenken an die Opfer der Verfolgung in Zürich öffentlich machen und plante 1952 die Anbringung einer Gedenktafel an der Limmat. Der Stadtrat lehnte dies noch ab, weil die Erinnerung an die Verfolgung auch einen Schatten auf die einstigen Stadtoberen wirft.

Das unerbittliche Vorgehen der Obrigkeit gegen die Täufer war nämlich nicht nur eine kirchliche Angelegenheit und ebenso wenig allein in einem theologischen Zwist über die Taufpraxis begründet. Es ging um mehr.

Taufe und Macht

Wer im 16. Jahrhundert die Taufe für Kinder ablehnt und sie zum persönlichen Glaubensakt erklärt, sägt an der Verbindlichkeit des obrigkeitlich vorgegebenen religiösen Bekenntnisses. Kommt hinzu, dass sich die Täufer gestützt auf die Bibel auch gegen das Leisten eines Eides aussprechen und den Kriegsdienst verweigern – beides unverhandelbare Bürgerpflichten. Sollten sich solch radikale Reformen durchsetzen, muss die Obrigkeit das Entgleiten sämtlicher innenpolitischer Machthebel befürchten.

Das wiegt umso schwerer, als man sich in Zürich von den Altgläubigen in den angrenzenden Herrschaftsgebieten bedroht weiss und sich schon bald auf kriegerische Zeiten einstellt. Machtsicherung und Disziplinierung gegen innen ist deshalb die erste Devise der Zürcher Obrigkeit und erklärt die Brutalität, mit der sie zu jener Zeit gegen die einstigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen der Reformation vorgeht.

Und heute?

Die Erinnerung an die Gründungsgeschichte der Täufer bleibt verknüpft mit der Geschichte der Verfolgung. Aber auch an die Erinnerung der Versöhnung, wie John Roth, Vertreter der Mennonitischen Weltkonferenz (MWC) heute betont (siehe Interview).

Als Mitglied einer Vorbereitungsgruppe für das anstehende 500-Jahr-Jubiläum, das die Täufer und Mennoniten an Auffahrt 2025 in Zürich feiern werden, weilte er im Juni für einige Tage in Zürich. Er hält fest, wie froh er um den seit Jahren guten und gastfreundlichen Austausch mit den Reformierten in der Schweiz und in Zürich sei. Die MWC plant die Feierlichkeiten in eigener Verantwortung, arbeitet aber mit Vertreterinnen und Vertretern der reformierten Stadtgemeinde, der theologischen Fakultät und der Landeskirche zusammen.

Am 29. Mai findet im Grossmünster ein grosser Festgottesdienst statt. Die Landeskirche unterstützt den Jubiläumsanlass auch finanziell mit einem Beitrag von 50 000 Franken. Abgesehen von den Delegierten werden Besuchergruppen aus aller Welt anreisen. Im Zentrum stehe dann nicht die Erinnerung im nostalgischen Sinn und auch nicht der Fokus auf die dunklen Kapitel der Verfolgung, sagt John Roth, sondern «wie wir aus den theologischen Kernelementen der Gründungsgeschichte lernen, wie wir heute bessere Nachfolger von Jesus sein können».

Text und Interview: Christian Schenk

Gespräch mit John D. Roth, dem Projektleiter der 500-Jahr-Feierlichkeiten

John Roth, welche Rolle spielt die Erinnerung an die Ursprünge in Zürich?

Erinnerung ist ein wichtiger Teil, aber nicht auf nostalgische Art. Auch nicht, um auf den Status als Opfer zu fokussieren. Wichtig ist, wie wir aus der Gründungszeit lernen können, wie wir heute bessere Nachfolger von Jesus sein können. Die ersten Glaubenstaufen im Januar 1525 in Zürich sind ein wichtiger symbolischer Moment, ein sichtbarer Ausdruck dieser Bewegung, die davon überzeugt ist, dass es eines bewussten Entscheids der Nachfolge Jesu bedarf und eines öffentlichen Bekenntnisses dazu, Teil einer Gemeinde zu sein und sein Leben nach den Lehren Jesu auszurichten.

Wichtig ist uns, diese Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung, die Konsequenzen für dein Leben hat. Das passiert nicht auf Knopfdruck, es ist ein Prozess und eine Orientierung. Die Taufe ist ein öffentliches Zeichen davon.

Wie gut ist diese Gründungsgeschichte den Täufern bekannt?

Jede der nationalen Kirchen hat ihre eigene Gründungsgeschichte. Nicht alle führen zurück nach Zürich. Aber Zürich ist ein Fokuspunkt für theologische Schlüsselfragen, die für nahezu alle globalen Täufer-Gemeinden bis heute eine Rolle spielen, nämlich, dass sich unsere Kirche als Gemeinschaft versteht, die sich frei dazu entscheidet, Jesus nachzufolgen.

Wir sind dazu berufen, den Mitmenschen die unverdiente Liebe entgegenzubringen, die uns auch Gott entgegenbringt. Daraus folgt auch unser Bekenntnis zum Pazifismus.

Welche Rolle spielt die Tatsache, dass Zürich auch für die Verfolgung der Täufer steht?

Ich machte vor Jahren einmal eine Führung in Zürich und thematisierte auch die Ver­folgung. Es waren Mennoniten aus Äthiopien und Indonesien dabei, die davon tief bewegt waren, weil sie selber Verfolgung in ihrem Land erlebt haben. 

Aber ich bin vorsichtig damit, die Geschichte der Martyrien zu erzählen, weil es einfach ist, eine Identität zu beanspruchen, die auf dem Opfersein beruht. Das ist nicht gesund und erschwert die Beziehungen zu anderen Christen. Man darf die Verfolgung thematisieren, aber nicht dort stehen bleiben. Die Welt hat sich verändert, wir haben Versöhnung erlebt. Gott sei Dank. 

 Mehr lesen Sie zur Geschichte der Täufer im «Historischen Lexikon der Schweiz», der Webseite des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte oder auf Wikipedia.

Täufer in der ganzen Welt

Besuch einer Gruppe von Nachfahren der in Zürich entstandenen Täuferbewegung in der Täuferhöhle im Zürcher Oberland. Die Besucherzahlen dürften im Jubiläumsjahr 2025 deutlich ansteigen.

Nach Angaben der Mennonitischen Weltkonferenz beträgt die Anzahl der Täufer heute etwa 2,1 Mio. in über 80 Ländern. Als Erben von Teilen der täuferischen Lehre können im weiteren Sinn auch viele evangelische Freikirchen angesehen werden, darunter die Baptisten (mit gegen 100 Mio. Mitgliedern).

John D. Roth, Projektleiter «Anabaptism at 500» und ehemaliger Professor für Geschichte am mennonitischen College in Goshen, USA