Immer wieder am Grab: Wie Pfarrpersonen mit dem Tod umgehen
Was bedeuten Abdankungen für Pfarrerinnen und Pfarrer? Wie bereiten sie sich vor? Und wie gehen sie mit der Belastung um? Fünf Pfarrpersonen teilen ihre Erfahrungen.
«Die Bedeutung von Abdankungen ist gross. Nur schon rein numerisch in einem grossen Gemeindepfarramt», sagt Matthias Rüsch, langjähriger Pfarrer in Uster. «Die Arbeit ist – darf man das sagen? – wunderschön, bewegend, intensiv. Da werde ich gebraucht, am Puls des Lebens – im Sterben, angesichts des Todes.»
Auch für Jürg-Markus Meier, seit 2015 Pfarrer in Thalwil, sind Abdankungen «etwas Dankbares», man sei als Fachmann gefragt und könne Menschen seelsorglich begleiten und mithelfen, den Raum zu schaffen für einen würdigen Abschied im christlichen Sinn.
Auch Monika Burger, mit ihrem Mann Marc seit sieben Jahren als Pfarrehepaar in Lindau tätig, macht Abdankungen gern, weil sie spürt, dass sie Menschen damit in einem schwierigen, verletzlichen Moment zur Seite stehen kann.
Welche Formen sind gefragt?
In Uster gibt es alle Formen von Abdankungen, wie Matthias Rüsch sagt: «Es gibt alles. Die Erdbestattung ist fast verschwunden. Der in Uster sehr schöne Friedhof ist beliebt. Das Gemeinschaftsgrab wird immer üblicher.» Ihn beschäftigt jedoch, dass die Zahl von Kirchenmitgliedern, die keine Abdankung oder Beisetzung mehr wünschen, seit fünf bis sechs Jahren auf etwa einen Drittel der reformierten Todesfälle gestiegen ist.
In der ländlichen Gemeinde Lindau ist der Anteil dieser Gruppe klein – vielleicht auch dank der guten Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen des Bestattungsamts. Üblich sind dort kirchliche Abdankungen, denen eine Bestattung auf dem Friedhof vorausgeht. Neben der klassischen Form mit Predigt und Lebenslauf pflegt Marc Burger auch persönliche Feiern im Chor der Kirche, wo die Teilnehmenden im Kreis um ein grosses Sandschalenherz sitzen, etwas zur verstorbenen Person sagen und dann eine Kerze anzünden.
Wie gehen Sie auf Wünsche ein?
Viele Hinterbliebene seien froh, wenn er als Pfarrer einen Rahmen vorgeben könne, sagt Matthias Rüsch. «Häufig darf es in Liedgut und Form sehr traditionell sein. Es gibt aber – und das ist mir lieb – vielfältige Wünsche: ein (Schlager-)Lied am Grab, persönliche Worte von Angehörigen in der Kapelle. Da gehe ich bis an die pfarramtliche Schmerzgrenze. Oft ist es für mich eindrücklich zu sehen, was den Leuten lieb und teuer ist.
«An mir liegt es dann, den theologischen Bezug zu schaffen, wenn er denn nicht schon da ist». Wenn aber kein Gebet, kein biblischer Bezug, kein «Christentum» gewünscht sei, dann sage er klar ab.
Auch für Jürg-Markus Meier haben Wünsche von Angehörigen grosse Aussagekraft. «Sterbende, die Wünsche äussern, haben oft ein Gespür dafür, was stimmig ist, sie kennen den Pfarrer, die Pfarrerin und haben Vertrauen in sie.» Monika Burger setzt auch ausgefallene Wünsche in Bezug auf Musik, Texte, Fotos um, dabei verlässt sie sich auf zwei Sigristinnen und Musikerinnen, die «vieles möglich machen».
Als aussergewöhnlichsten Liedwunsch nennt sie das Ausgangsstück «Das chunnt mer gopferdeckel spanisch vor», das ein Musikverein auf Wunsch seines ehemaligen Mitglieds intonierte – was sehr stimmig war und gut ankam.
Ein Spannungsfeld entsteht laut Pfarrer Meier dort, wo Angehörige nicht im Sinn der verstorbenen Person entscheiden. Dies könne aber meist im Gespräch gelöst werden. Schwierig sei auch, wenn die Angehörigen krampfhaft versuchten, alles im Griff zu haben. «Das macht es atmosphärisch schwer, Trost zuzusprechen, es ist dann eher eine Veranstaltung, aber keine Abdankung.»
Was ist wichtig beim Trauergespräch?
Beim Trauergespräch nimmt sich Marc Burger viel Zeit, um sich ein Bild der verstorbenen Person zu machen. Auch seine Frau Monika bereitet sich zeitaufwendig vor. «Dann tauche ich richtiggehend in das Leben ein, versuche zu spüren, was diesen Menschen geprägt hat, was für Bürden ihm auferlegt wurden, wo es starke Wurzeln gab, entscheidende Menschen und Orte, Quellen der Kraft und Spiritualität.»
Für Jürg-Markus Meier ist die Ehrlichkeit am Trauergespräch wichtig: «Erzählen die Angehörigen beim Trauergespräch authentisch über die verstorbene Person und nennen auch charakteristische Prägungen, so kann ich als Pfarrer ein Lebensbild schaffen, das stimmig ist und den Eindruck erweckt, ich hätte diesen Menschen gekannt.»
Seine Frau Galina Angelova, die seit 2020 als Pfarrerin in Zürich Kreis zwei wirkt und zuvor in Rüti tätig war, sagt dazu: «Ich empfinde es als schwierig, wenn beim Trauergespräch etwas verschwiegen wird, aus Angst, es könnte bei der Feier etwas zur Sprache kommen, das nicht an die Öffentlichkeit soll.» Manchmal seien es Tabuthemen in der Familie wie uneheliche Kinder oder «schwierige» Personen. «Wenn es möglich ist, dies auszusprechen, kann ein Trauergespräch auch lösend und versöhnlich sein.»
Was ist eine «gute» Abdankung?
Für Galina Angelova ist eine Abdankung gut, «wenn die Angehörigen und die Trauernden würdig Abschied nehmen und die verstorbene Person loslassen und Gott anvertrauen können; wenn das ganze Leben der Verstorbenen gewürdigt wird und nochmals aufscheinen darf, nicht nur die letzten Jahre oder Monate, die vielleicht belastet waren durch Krankheit und an den Kräften gezehrt haben. Im schönen Fall entsteht Dankbarkeit für das gemeinsam Erlebte und eine gewisse Heiterkeit im Umgang mit Tod und Vergänglichkeit.»
Jürg-Markus Meier nennt als zentrale Botschaft: Jeder Mensch ist einzigartig vor Gott und ins Leben gerufen. «Auch was angeeckt hat oder schwierig war, darf beim Abschied Platz haben, wir sind nicht Richter. Und: «Gehört der Tod zum Leben und hat nicht das letzte Wort, können wir uns bewusster dem vollen Leben zuwenden und Freude teilen, im Sinne von Kohelet 3, 12.»
Der Lindauer Pfarrer Marc Burger betrachtet Abdankungen als Ellipse mit zwei Brennpunkten: Einerseits soll man die verstorbene Person noch einmal richtig spüren, «wie sie war, wie sie leibte und lebte». Dazu hält er fest: «In letzter Zeit denke ich , dass man diese Person eigentlich sogar feiern sollte. Feiern, dass sie da war und Teil unseres Lebens war.» Andererseits gehe es darum, von dieser Person Abschied zu nehmen, weswegen er anhand von biblischen Geschichten einen möglichen Abschiedsweg skizziere und die Etappen des Trauerprozesses thematisiere.
In seinen persönlichen Abdankungen nimmt er zuweilen kleine Rituale auf, die die Trauergäste mit den Verstorbenen verbinden, so stiess er nach dem Tod eines Weinliebhabers am Ende der Predigt symbolisch auf dessen letztes Wegstück an.
Wie umgehen mit Belastungen?
Über die Frage der Belastung hat Monika Burger gestaunt. «Ich erlebe es als grosses Privileg, dass mir die Angehörigen Schwieriges, Brüchiges, Verletzliches anvertrauen. Oft erfahre ich Sachen, die sie noch nie jemandem anvertraut haben. Dies erlebte ich nicht als Belastung, sondern als Geschenk.» Vor einer Beerdigung nimmt sie sich daher viel Zeit für ein Gebet und bittet um die Kraft, die Trauer der Angehörigen zu tragen.
Als herausfordernd empfindet Galina Angelova besondere Todesfälle, etwa einen Unfalltod, den Tod eines Kindes oder Jugendlichen, auch jeden plötzlichen Tod, bei dem es keine Möglichkeit gab, sich zu verabschieden. Bei Suizid brauche es viel Empathie, Ruhe und Klarheit, um die Angehörigen in dieser emotional aufgewühlten Stimmung anzuleiten. Sie schätzt die Möglichkeit der Supervision und den Austausch mit Pfarrkolleginnen und -kollegen zu diesen Themen.
Und Matthias Rüsch hält fest: «Die Belastung ist gross: zeitlich, psychisch. Man muss hundertprozentig präsent sein, und manchmal kommt ja gleich nach der Abdankung das Taufgespräch und vor der Abdankung vielleicht noch eine schräge Begegnung.»
Text: Madeleine Stäubli-Roduner
«Die Arbeit an einer Abdankung ist – darf man das sagen? – wunderschön.»
Matthias Rüsch, Pfarrer in Uster
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