Teamwork: Was kann die Kirche vom Sport lernen?
Der Sportpsychologe Robert Buchli arbeitet mit Topschwingern und Hockeyprofis. Er ist Gast an der kommenden Kappeler Kirchentagung, welche Teamarbeit ins Zentrum setzt. Kann auch die Kirche von seinem Knowhow lernen?
Robert Buchli, Sie arbeiten mit Menschen, die sich im Wettkampf bewähren müssen. Dafür ist die Kirche nun gerade nicht bekannt. Waren Sie überrascht von der Anfrage für eine Fortbildung der Kirche?
Ja, weil es doch Unterschiede gibt zu der Arbeit, die ich sonst tue. Die findet in der Tat im wettkampforientierten Umfeld statt. Dann wiederum auch nein, weil es auch Gemeinsamkeiten gibt – zum Beispiel, dass der Mensch im Zentrum steht und dass es um Teamspirit geht.
Für mich ist es interessant, meine Kenntnisse aus dem Ökosystem Sport in andere Bereiche wie die der Kirche zu transferieren.
Geht es in der Sportpsychologie nicht vor allem darum, das Optimum aus einem Athleten herauszuholen?
Ich begleite Menschen – im Team oder einzeln. Wenn ich mit Teams arbeite, geht es kurz gesagt um Kulturentwicklung, die eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe anstrebt. Bei der Arbeit mit Einzelsportlern geht es um Persönlichkeitsentwicklung.
Was ist Ihnen dabei wichtig?
Menschen zu begleiten, damit sie im wettbewerbsorientierten Umfeld das Menschliche beibehalten, das inspiriert mich. Mein erstes Ziel ist, das Umfeld des Athleten ins Zentrum zu rücken und zu stabilisieren.
Die Athletin, der Athlet soll erkennen, dass der Sport nicht alles dominiert. Ich brauche hierfür oft das Bild einer Tanne, die dann stabil steht, wenn rund um sie ebenfalls andere kleinere Tannen wachsen. Und dann geht es durch Beziehungsarbeit auch darum, dem Sportler, der Sportlerin zu helfen, den Kompass für die Karriere und das Leben auszurichten.
Wie geht das?
Mir ist wichtig, dass sich die Athleten bewusst sind, dass das Sich-Messen im Wettkampf, eine Phase im Leben ist, die typischerweise im Alter zwischen 18 und 35 grossen Raum einnimmt, dass der Mensch sich aber auch ständig weiterentwickeln soll. Dies früh anzusprechen, erschreckt meine Klienten manchmal. Aber sie sind auch dankbar, wenn sie merken, dass es um mehr geht, als nur darum, optimale Leistungen abzurufen.
Es ist auch wichtig zu klären, warum und für wen sie den Wettkampf machen, warum sie gewinnen wollen und wie sie mit Erfolg oder Misserfolg umgehen. Bei solchen Fragen geht es oft tief und es zeigen sich neue Selbsterkenntnisse.
Nun arbeiten Sie an den Kirchentagungen vor allem am Teamspirit. Wie können Sie dabei Ihr Knowhow aus der Sport- in die Kirchenwelt transportieren?
Da habe ich noch keine fertigen Lösungen. Es wird in den Workshops darum gehen, zu zeigen, wie wir in der Sportpsychologie arbeiten und was sich davon in den kirchlichen Kontext übertragen lässt und wo die Kirche vielleicht ganz bewusst und mit Recht andere Wege gehen will.
Verschiedene Berufe, verschiedene Rollen, Laienbehörden, die Vorgesetzte von Profis sind. Was raten Sie der Kirche für eine gute Zusammenarbeit?
Da gibt es durchaus Parallelen zur Sportwelt. Ich rate zu einem systemischen Ansatz, zu einer Betrachtung des gesamten Umfelds und zu Leichtigkeit, denn dort, wo Menschen sind, gibt es auch Konflikte – diese gilt es im respektvollen Mit- oder Füreinander zu lösen.
Was bedeutet das konkret?
Wenn ich einen Schwinger berate, geht es nicht darum, dass nur er und ich zusammenarbeiten, sondern dass wir auch wichtige Bezugspersonen wie Eltern, Partnerinnen, Trainer, Mentoren, Therapeuten einbeziehen. Nur wenn das Umfeld stabil ist, wird der Athlet seine Rolle optimal ausfüllen können und – mindestens so wichtig – sich auch als Mensch entwickeln.
Wie setzt man einen solchen Ansatz in einer Kirchgemeinde um?
Wenn man sich die verschiedenen Rollen und Kompetenzen bewusst macht, ist das bereits eine hilfreiche Erkenntnis. Wichtig ist ausserdem der Abbau von Hierarchien zwischen den Berufsrollen. Wenn sich alle mit der gemeinsamen Zielrichtung identifizieren, wird man bessere Ergebnisse erzielen, als wenn von oben herab befohlen wird.
Manchmal hilft eine Aussensicht, gewisse blinde Flecken im System zu erkennen. Wichtig scheint mir, dass es allen Beteiligten gelingt, die persönlichen Interessen nicht über die gemeinsame Vision zu stellen.
Für wen soll die Kirche Ihrer Meinung nach da sein?
Die Kirche kann viel für den Austausch der Generationen tun, und sie bleibt wichtig bei der Orientierung in den grossen Lebensfragen. Sie sollte dabei aber nicht allzu verkopft agieren.
Wichtig ist, dass sie den Austausch unter den Menschen fördert und ihn weiterhin auch physisch erlebbar macht – mit Musik, Bewegung und Sport.
Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit der Kirche?
Es gibt viele biografische Anknüpfungspunkte. Ich bin in Pitasch, in einer reformierten Bündner Gemeinde, aufgewachsen, habe den kirchlichen Unterricht besucht und hatte einen guten Kontakt zu unserem damaligen Pfarrer. Gegen ihn habe ich als mathematik-interessierter Schüler oft Schach gespielt.
Wie sind diese Partien ausgegangen?
Am Anfang war ich oft der Verlierer. Später gewann ich mehr. Ob er mich extra gewinnen liess, kann ich nicht sagen (lacht).
Wie blicken Sie heute auf das Wirken der Kirche?
Ganz nah dran bin ich nicht, aber mein Kontakt zur Kirche ist wieder etwas stärker, seit meine drei Kinder den reformierten Unterricht besuchen. Ich bin überzeugt, dass die Kirche wichtige Aufgaben in der Gesellschaft gerade bezüglich Gemeinschaftsbildung wahrnimmt.
Es ist mir persönlich wichtig, dass wir nicht zu sehr in Richtung Individualisierung steuern und es nicht nur um Leistungsorientierung geht, die am Einzelnen gemessen wird.
Interview: Christian Schenk
«Wo Menschen sind, gibt es auch Konflikte – diese gilt es im respektvollen Mit- oder Füreinander zu lösen.»
Teamgeist im Zentrum der Kappeler Kirchentagung
In einer Kirchgemeinde arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Berufen und in verschiedenen Rollen an gemeinsamen Aufgaben. Die kommende Kappeler Kirchentagung zeigt Perspektiven für eine vertiefte Zusammenarbeit auf.