Von Menschen und Monstern

«Las Toreras» von und mit Jackie Brutsche hat den diesjährigen «Filmpreis der Kirchen» erhalten. Das Werk ermutigt, sich mit den Schattenseiten des Lebens auseranderzusetzen und macht Hoffnung, in schmerzhaften Prozessen nicht nur zu verlieren, sondern auch zu gewinnen.    

Das Monster hat unzählige Arme, gibt schauerliche Töne von sich und torkelt bedrohlich durch die spanische Wüstengegend. Es steht für eine psychische Erkrankung, die sich immer obsessiver in das anfänglich hoffnungsvolle Leben der Spanierin Carmen einschleicht, ihre Tanzfreude nach und nach überschattet, ihre Träume verdunkelt und schliesslich ihr Menschsein verunmöglicht.

Mit welchen Stieren sie wohl gekämpft hat, das fragt sich Carmens Tochter Jackie, die sich auf eine lange, emotionale Reise in ihre Familiengeschichte begibt. Sie hat sich entschieden, ihr Leben vom Schicksal ihrer wahnhaften Mutter nicht überschatten zu lassen, dem Kampf in Form ihres Alter Ego «Jack Torera» eine symbolhafte Gestalt zu verleihen und sich der vergangenen Tragödie zu stellen. «Use the dark story as inspiration» – diese Intention setzt die Künstlerin meisterhaft um.

 

Filmstill aus Jackie Brutsches Film «Las Torerras»

Jackie Brutsche eröffnet ihren Verwandten liebevolle Räume, um zurückzublicken

Jackies dokumentarisch-künstlerische Auseinandersetzung handelt in erster Linie von Menschen. Es sind Menschen, die Carmen kannten und die ihre ganz eigenen Perspektiven entworfen, ihre eigenwilligen Überzeugungen gewonnen und daraus persönliche Schlüsse gezogen haben, Onkel und Tanten in Spanien und der Schweiz. Ihnen eröffnet Jackie liebevolle Räume, um im respektvollen Gespräch Jahrzehnte zurückzublicken.

Sie fragt ruhig nach, deckt unaufgeregt Widersprüchlichkeiten auf und eröffnet in einem subtilen Prozess den besuchten Verwandten einen Weg von Schuldzuweisungen in eine spürbar geläuterte, versöhnliche Haltung, die Carmens Krankheit schliesslich als unabänderlich annimmt. 

Filmstill aus Jackie Brutsches Film «Las Toreras»

Durch Inszenierungen erhält Brutsches filmisches Erzählen eine packende Tiefendimension

Wenn Carmen in wehendem weissen Rock und mit weisser Maske zauberhaft anmutig durch ein verschlafenes spanisches Dörfchen tanzt, dann wieder verloren mit Koffer in der kargen Landschaft steht und schliesslich – endlich befreit vom übermächtigen Monster – ihrer Tochter engelsgleich von der Hügelspitze herunterwinkt, erzielt das filmische Erzählen eine packende Tiefendimension.

Diese surrealen Szenen verleihen den scheinbar schlichten Gesprächen zwischen Jackie und ihren Verwandten eine ungeheure Brisanz. Spürbar wandeln sich die Beteiligten dieser allzu lang tabuisierten Familiensaga von Unwissenden zu Wissenden, von Verurteilenden zu Verzeihenden, von Abwehrenden zu Annehmenden.

Der Regisseurin gelingt es, persönliche Biografiearbeit und subtile familiäre Versöhnungsprozesse in einem künstlerisch ebenso eigenwilligen wie filigranen Dokudrama zu vereinen. Das bisher persönlichste Werk der Künstlerin und Musikerin ermutigt, sich mit den Schattenseiten des Lebens, mit psychischen Erkrankungen auseinanderzusetzen, den daran leidenden Menschen ein Gesicht, eine Stimme zu geben und in schmerzhaften Prozessen nicht nur zu verlieren, sondern auch zu gewinnen. 

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