Erste Hilfe für die Seele
Psychische Erkrankungen haben stark zugenommen. Ein Fachkurs vermittelt Erste Hilfe im Umgang mit Betroffenen; er steht für Kirchgemeinden ab sofort bereit.
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«Wie kann Kirche Menschen in psychischen Krisen begleiten?» Eine Antwort für Kirchgemeinden hält die Kantonalkirche seit kurzem in Form eines Kurses bereit, der Teilnehmende in Erster Hilfe unterrichtet. Erste Hilfe, diesmal nicht mit Anleitungen für fachgerechte Herzmassagen oder zur korrekten Verwendung des Defibrillators. Vielmehr lehren die so genannten Ensa-Kurse (siehe Infobox) praxisnah, wie psychische Probleme im eigenen Umfeld erkannt und Betroffene unterstützt werden, bis Hilfe von professioneller Seite verfügbar ist.
Erste Hilfestellungen, «nicht mehr, aber auch nicht weniger», so lautet der Anspruch des niederschwelligen Kurses, wie Leonie Ulrich, Leiterin Diakonie und Generationen in den Gesamtkirchlichen Diensten, im Gespräch erläutert. «Wir sehen psychische Gesundheit als gesellschaftlichen Auftrag und ermutigen Kirchgemeinden, ihre Mitarbeitenden und Freiwilligen mit einem Kursbesuch zu sensibilisieren und sie mit Know-how für den Umgang mit Menschen in psychischen Nöten auszurüsten.» Auch Jacques-Antoine von Allmen, Beauftragter für die Weiterbildung A+W, ist überzeugt, dass der neue Lehrgang gefragte Kompetenzen vermittelt. «Er stellt sicher, dass Menschen in Krisen nicht allein gelassen werden, zumal die Ressourcen von Pfarrpersonen oder Sozialdiakoninnen begrenzt sind», sagt er.
Dem angehenden Ensa-Instruktor schwebt vor, in den Kirchgemeinden Netze von Ersthelfern aufzubauen. Deren Aufgabe sieht er nach dem Selbstverständnis von Ensa darin, Betroffenen in einer ersten Phase beizustehen. «Hingegen bilden wir keine kleinen Psychotherapeuten aus», sagt er.Die beiden Verantwortlichen freuen sich, eine längere Planungsphase erfolgreich zu beenden.
Im Frühling 2021 hatte Kirchenrat Andrea Marco Bianca auf die Ensa-Kurse aufmerksam gemacht; die stark zunehmenden psychischen Nöte der Bevölkerung in der Corona-Zeit bestärkten die Dringlichkeit des Anliegens. Eine interprofessionelle
Arbeitsgruppe aus Diakonie, Katechetik, Personalentwicklung und Aus- und Weiterbildung Pfarrschaft überprüfte darauf die Ensa-Kursinhalte und holte professionelle Einschätzungen zu deren Qualität ein. Der Rat der EKS schloss 2021 mit Pro Mente Sana, der Lizenznehmerin für Ensa-Kurse in der Schweiz, eine Rahmenvereinbarung, die es Mitgliedkirchen ermöglicht, die lizenzierten Ensa-Kurse zu vorteilhaften Bedingungen anzubieten.
Darauf entschied die Zürcher Arbeitsgruppe, definitiv mitzuziehen. Sie legte das Anliegen der Geschäftsleitung vor, die das neue Angebot im Herbst 2022 guthiess und mit der EKS eine entsprechende Vereinbarung traf. Derzeit werden Kirchgemeinden informiert und dazu eingeladen, Kurse anzubieten. Im September wird A+W einen Ensa-Kurs für Behörden, Pfarrpersonen und andere kirchliche Mitarbeitende durchführen, den Jacques-Antoine von Allmen mitleitet.
Er bildet sich gerade zum Ensa-Instruktor aus und motiviert weitere Interessierte zu diesem Schritt. Heute stehen sechs erfahrene Instruktorinnen mit kirchlichem Hintergrund bereit, die nach dem viertägigen Grundkurs die fünftägige Schulung für Kursleitung absolviert haben. Der Fokus auf Instruktorinnen und Instruktoren als Multiplikatoren ist gewollt, denn diese können bei rascher Verbreitung des Kurses bald stark nachgefragt sein.Konkret lernen Ersthelferinnen, Probleme zu erkennen, auf Menschen zuzugehen, schwierige Themen anzusprechen und Hilfe anzubieten. In Theorie und Praxis werden Fakten über die psychische Gesundheit in der Schweiz und über eine Reihe von psychischen Erkrankungen vermittelt. Die «Fünf Schritte der Ersten Hilfe» leiten zu angemessenem Verhalten in psychischen Krisensituationen an. Ein umfangreiches Handbuch als Lehrmittel und ein Übungsheft bieten strukturiert Übersicht und listen geeignete Massnahmen, weiterführende Links und griffige Merksätze auf.
Könnte es vorkommen, dass Kursabsolventen versucht sind, Betroffenen auf spärlicher Grundlage Diagnosen zu stellen? Nein, sagt von Allmen entschieden. Wer sich eingehend mit Krankheitsbildern auseinandersetze, schaffe vielmehr innere Schubladen mit differenzierten Instrumentarien zur Einschätzung spezifischer Situationen. «Die definitive Diagnose ist selbstverständlich Sache der medizinischen Fachkraft», sagt er. Eine Schwierigkeit ortet er aber in der Vielfalt der behandelten Erkrankungen. Innerhalb von 14 Stunden über Depressionen, Angststörungen, Süchte, Suizidalität, Psychosen, Essstörungen und andere Krankheitsbilder zu sprechen, berge die Gefahr, die Inhalte zu überladen. Dabei hat ihm seine eigene Erfahrung gezeigt: Übungen mit Rollenspielen zwischen Betroffenen, Erstbegleitern und Beobachtern sind essenziell. «Bei Rollenspielen mit wechselnden Perspektiven lernen Teilnehmende am meisten.»Es ist von Allmens besonderes Anliegen, dass interessierte Kirchgemeinden Ensa nicht einfach als neuen Trend sehen, sondern vorgängig über ihre Bedürfnisse, ihr Zielpublikum und ihre Ressourcen nachdenken. Wer soll teilnehmen, etwa die Engagierten des Besuchsdienstes oder ein beliebiger Personenkreis? Die Ensa-Kurse werden mit unterschiedlichem Fokus angeboten, für Erwachsene oder Jugendliche. Geplant sind künftig auch Kurse zu spezifischen Themen.
Den interessierten Kirchgemeinden rät von Allmen, sich regional zusammenzutun und die Kurse in ihre jährliche Gesamtplanung einzubeziehen. Er verweist zudem auf eine Anzahl von Konzernen wie etwa die Swisscom, die sich für eine Teilnahme entschieden haben, «weil ihnen die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden wichtig ist». Dieses Ansinnen sollten nach Überzeugung von Allmens gerade Kirchgemeinden breitflächig mittragen.●
Ein Kurs, der ermutigt
Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. Wie kann ich als Mitarbeiter:in der Kirche einer betroffenen Person Hilfe vermitteln? Im Kurs werde Sie ermutigt, ensa-Kurse an Ihrem Ort durchzuführen. Der Lehrgang umfasst 14 Stunden.