Hinschauen, damit es nicht zu Übergriffen kommt

Die Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche Deutschlands beschäftigt auch uns, denn sie benennt Risikofaktoren, die auch für kirchliche Tätigkeiten im Kanton Zürich relevant sind. Diese betreffen die föderale Struktur, das idealisierte Bild von Kirche als sicheren Ort und die Machtposition von Pfarrpersonen. 

Im Schutzkonzept der Zürcher Landeskirche sind viele der Massnahmen, welche die EKD-Studie empfiehlt, bereits integriert. Andere, wie eine bessere Zusammenarbeit mit Betroffenen oder eine genauere Datenerhebung und Auswertung von Fällen, sind Aufgaben und müssen noch angegangen werden. 

Zahlen aus Deutschland nur die Spitze des Eisbergs

1259 Beschuldigte und 2225 Betroffene listet die deutsche Studie für den Untersuchungszeitraum 1946 bis 2020 auf. Diese Zahlen seien nur «die Spitze der Spitze des Eisberges», sagen die Autoren und weisen darauf hin, dass ein Grossteil des Missbrauchsgeschehens vermutlich nie Eingang in die Akten gefunden hat. Es liegen nur die Akten der Pfarrpersonen vor. 

Andere Mitarbeitende im Bereich Kinder- und Jugendarbeit oder die grosse Zahl Ehrenamtlicher sind in den Kirchgemeinden angestellt und daher nicht zentral erfasst. Klar ist: Missbrauch fand in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit statt – insbesondere an Orten, wo berufliche und private Lebensführung vermischt werden, also in Heimen und im Pfarrhaus. 

Aufarbeitung immer erst auf Druck der Betroffenen 

Eine Stärke der Studie sind die Interviews mit über 100 Betroffenen. Sie ermöglichen eine Aussenwahrnehmung und machen die Diskrepanz zum idealisierten Selbstbild der Kirche sichtbar. Die Befragungen machen deutlich: Auch in der evangelischen Kirche existieren Risikofaktoren und spezifische Strukturen, die die Täter schützen. 

Es wurde viel zu lange weggeschaut. Aufarbeitung fand immer erst auf Druck durch Betroffene statt, nie proaktiv durch kirchliche Stellen. Und weil die meisten Täter mehrfach missbraucht haben, hätte rasches Handeln der Kirche Leid verhindern können. 

Situation in den Kirchgemeinden vergleichbar 

Die deutsche Studie macht klar: Missbrauch kann überall geschehen und die reformierten Kirchen in der Schweiz sind davon nicht ausgenommen. Einige Umstände sind allerdings nicht auf Schweizer oder Zürcher Verhältnisse übertragbar. 

Das Diakonische Werk in Deutschland etwa betreibt rund 33 000 Einrichtungen, darunter 370 Krankenhäuser sowie Kindertagesstätten, Beratungsstellen und Sozialstationen. Diese Strukturen sind in den reformierten Kirchen der Schweiz kaum verbreitet, solche Aufgaben nimmt der Staat wahr.  

Was die Situation in den Kirchgemeinden angeht, gibt es jedoch kaum Anlass, in der Schweiz von grundsätzlich anderen Verhältnissen auszugehen. Gewisse Risikofaktoren, wie zum Beispiel die föderale Struktur, sind in den Schweizer Landeskirchen deutlich stärker ausgeprägt.  

Verhaltenskodex fördert eine Kultur der Ansprechbarkeit 

Mit dem Verhaltenskodex und den Schulungen zur Prävention wird eine Kultur der Ansprechbarkeit gefördert und das sorgsame Gestalten von Risikosituationen eingeübt. Der Verhaltenskodex gilt auch für Freiwillige, die mit Kindern, Jugendlichen oder Menschen in Abhängigkeitssituationen zu tun haben.  

Einige Massnahmen müssen auf Ebene der Evangelische Kirche Schweiz in Angriff genommen werden. So hat die EKS hat beispielsweise angekündigt, eine zentrale Meldestelle zu schaffen. 

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Ansprechperson

Betroffene besser schützen

Die Frauen- und Genderkonferenz der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz tagte ​Ende Mai zum Thema sexueller Missbrauch.«Wir sind in der Schweiz noch nirgends», sagte Sabine Scheuter, unsere Genderbeauftragte und Verantwortliche für Schutzkonzepte. «Die Betroffenen wurden nie explizit eingeladen, sich zu melden. Wir kennen ihre Bedürfnisse zu wenig.»

Zum Bericht von ref.ch