Homestory mit Gott

Ist Gott im Himmel zu Hause – und wo sonst noch? Und was sagt dies über das himmlische und irdische Wohnen? Eine biblische Reise mit dem Theologen Ralph Kunz.

Wir beten zu Gott als Vater und Mutter im Himmel. Wie kommt man dazu, ihn dort zu «verorten»?

Jesus hat Gott als «Vater im Himmel» angeredet. Es ist das Herzstück seiner Gebetslehre und eigentlich das Gegenteil einer «Verortung». Denn «Himmel» bezeichnet eine Sphäre, die alles durchdringt und alles übersteigt, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, in Gedanken ausdenken oder erträumen können. Es gibt im Himmel kein Hier und Dort.

Wo stellte sich das Volk Israel Gott vor?

Gottes Dasein ist ein Mit-uns-Sein. Israel hat es erfahren – zuerst bei seiner Befreiung aus dem ägyptischen Sklavenhaus und dann auf dem beschwerlichen Weg in die Freiheit. Dass Gott mitgeht und sein wanderndes Volk begleitet, ist so etwas wie die Initialzündung des biblischen Glaubens. Gott hat keinen Herrschaftssitz, steht nicht auf goldenen Kälbern und besitzt keine Stadt oder Ländereien. Gott geht mit denen mit, die er auserwählt hat – auch ins dunkle Tal der Anfechtung. Das rabbinische Judentum hat für dieses verborgene und durchdringende Gegenwärtigsein Gottes unter uns den Begriff der Schechina geprägt.

Was bedeutet dieser Begriff?

Es ist eine Ableitung des hebräischen Wortes für Zelt und bedeutet die «Einwohnung Gottes bei seinem Volk». Jesus lebte im Bewusstsein einer aufblühenden und dynamischen Schechina – Gott kommt immer mehr in die Welt hinein, sein Reich wächst. In Bildern, Lehren und wunderbaren Krafttaten – in der leidenschaftlichen Menschenfreundlichkeit des Jesus von Nazareth. Das Wort des Auferstandenen konzentriert die Schechina in seiner Person und dehnt sie kosmisch ins Weltall hinaus: «Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.»

Werden dabei konkretes und himmlisches Wohnen identisch verstanden, etwa bei Textstellen zum Wohnen im verheissenen Land?

Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang des irdischen und himmlischen Wohnens. Der Hintergrund der prophetischen Verheissung bei Jeremia war das Trauma der Deportation – es ist ein Strang im Knäuel der Geschichten, die sich im Zeitraum von dreitausendfünfhundert Jahren miteinander verstrickt haben. Die Geschichte des verheissenen Landes spannt einen Bogen von Abraham über den Exodus bis zur Landnahme und von da weiter über die Richter- und Königszeit bis zum Untergang Grossisraels und der nachfolgenden Diaspora.

Zieht sich dieser Bogen des Wohnens im verheissenen Land bis in die Gegenwart?

Man kann den Bogen noch weiter spannen über die nachbiblische Zeit hinaus und landet in den Kämpfen der Gegenwart. Die Dynamik aus Aufbruch, Unterwegssein und Wiederbeheimatung ist ein heilsgeschichtliches und lebensgeschichtliches Thema, das theologisch und politisch brisant ist. Es gab und gibt den Versuch von religiösen Menschen, aus der Würde dieser Geschichte politisch Kapital zu schlagen, Boden für sich zu reklamieren 
und zu besetzen. War das gemeint? Mir fallen keine Beispiele für einen Himmel auf Erden ein.

Wie wohnte Jesus mit seinen Jüngern?

Jesus sagt von sich selbst: «Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.» Er wanderte und lud sich selbst und seine Schar ein bei Menschen, denen er begegnete. Er und seine Jünger lebten als Gäste. In einigen Häusern waren sie gern gesehen, fanden Aufnahme und Freundschaft, bei anderen Gelegenheiten jagte man sie davon. Manchmal mieteten sie ein Haus.

Gleichzeitig spricht Jesus den verängstigten Jüngern eine Heimat zu: «In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen». Ist Gott auch Wohneigentümer und wir die Mieter?

Hintergrund dieser Ermutigung ist das Bild des Bräutigams, der nach jüdischem Brauch nach der Verlobung mit der Braut im Haus des Vaters die Wohnung vorbereitet. Er geht voraus, die Braut wartet und hält sich bereit für das grosse Hochzeitsmahl – eine Metapher, die verschiedentlich im Neuen Testament auftaucht. Mit der Braut ist Israel bzw. die Gemeinde gemeint. Hier ist es eine Anspielung auf den Abschied Jesu und seinen Tod am Kreuz.

Verheisst hier Jesus Wohnraum für alle im Jenseits?

Die Versicherung der vielen Wohnungen bekämpft wohl auch die religiöse Platzangst der Jünger, die Furcht, dass das Heil nicht für alle reicht. Nein, es geht nicht um Vertröstung auf ein Jenseits. Mit Christus verbunden sein – das bedeutet Leben in Fülle, ein Glück, das schon hier und jetzt beginnt.

Wie sollen wir Heutigen wissen, wo Gott wohnt?

Jesus antwortet: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich» (Joh 14,6). Weggemeinschaft mit ihm ist die in die Zeit gedehnte Wohnung Gottes, die denen offensteht, die seine Wahrheit annehmen und ihm ihr Leben widmen. Den Weg wissen, heisst, von Gott getragen werden und Gott in sich tragen.

Gott in sich tragen: Dazu ermutigt Jesus, indem er verspricht, dass er selbst kommt und Wohnung nimmt bei den Menschen, die ihn lieben. Was heisst das?

Es bedeutete beim irdischen Jesus ganz konkret, dass er Menschen aufsuchte, um bei ihnen zu wohnen. In der nachösterlichen Zeit wurde die Taufe zum rituellen Akt der Einwohnung – beim Untertauchen wird der Täufling mit dem gekreuzigten Auferweckten verbunden. Er bezeugt damit seine Liebe. Die Entscheidung, sich taufen zu lassen, bedeutete, den Christus aufzunehmen, der mich schon in sich aufgenommen hat, der Liebe im Herzen Raum zu geben, die durch den Heiligen Geist schon ins Herz gegossen wurde, seine Gebote zu halten, ihm nachzufolgen und ihm immer ähnlicher zu werden.

Schafften die Menschen mangels Vorstellungskraft steinerne Kirchen als «Gotteshäuser», als Orte, wo sie meinen, Gott verorten zu können?

Wenn es so wäre, dass Kirchen Gott einmauern, müssten wir sie sofort abbrechen – damit Gott freikäme. Nicht Gott braucht die Mauern, wir brauchen sie. Weil unser rastloser Geist eine Umfriedung nötig hat, um sich auf das Heilige einzulassen – was nicht ausschliesst, dass auch ein Wald, ein Berg oder Fluss zum Tempel werden kann. Viele biblische Autoren haben ein gespaltenes Verhältnis zu Gotteshäusern. Jesus hatte weder zur Synagoge noch zum Tempel eine entspannte Beziehung. Aber er erhob auch keine prinzipiellen Einwände gegen Mauern. 

Und wo ist für Sie persönlich Gott zuhause?

Überall dort, wo wir ihm uns öffnen. 

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner

Ralph Kunz ist Professor für Praktische Theologie in Zürich